Matthäus 5,17

Matthäus 5,17

„Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“

Aus den einleitenden Worten dieses Textes geht klar hervor, dass Christus die Gedanken seiner anwesenden Kritiker erkannte, die ihn beschuldigten, das Gesetz abzuschaffen. Er sagte jedoch: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen.“

Das „Gesetz“ (Gr. nomos), hier gleichbedeutend mit dem hebr. Wort „torah“, das den gesamten geoffenbarten Willen Gottes umfasst (vgl. Psalm 119,1.34; Sprüche 3,1). Der Ausdruck „das Gesetz und die Propheten“ steht für eine Zweiteilung der alttestamentlichen Schriften (vgl. Matthäus 7,12; 11,13; 22,40; Lukas 16,16; Johannes 1,45; Römer 3,21). Unter den Juden war jedoch die Dreiteilung Gesetz, Propheten und Psalmen (Lukas 24,44) oder, gemäß dem Titel der hebräischen Bibel, „Gesetz, Propheten und Schriften“ gebräuchlicher. Der Kontext deutet darauf hin, dass Jesus sich hier wahrscheinlich in erster Linie auf das Moralgesetz und die zivilen Gesetze bezieht, die in den Büchern Mose enthalten sind und von den Propheten bestätigt wurden. In Matthäust 5,21-47 wählt Jesus bestimmte Gebote aus den Zehn Geboten (vgl. Matthäus 5,21.27) und aus den Gesetzen des Mose (vgl. 5,33.38.43) aus und kontrastiert dann seine Auslegung mit der der Schriftgelehrten, den offiziellen Auslegern und Lehrern des Gesetzes (vgl. Markus 1,22; 2,6.16; Lukas 5,17).
Christus macht deutlich, dass nicht er, sondern sie das Gesetz zerstören und es durch ihre Tradition unwirksam machen (Matthäus 15,3.6). Es ist wahrscheinlich, dass die Illustrationen aus dem Gesetz (5,21-47) nur einen Teil dessen darstellen, was Christus bei dieser Gelegenheit sagte (siehe 5,2). Seine Erörterungen könnten viel umfassender gewesen sein. Als er davon sprach, dass er gekommen sei, um das Gesetz und die Propheten zu erfüllen, könnte er zusätzlich betont haben, dass er die Typen des Zeremonialgesetzes erfüllt habe, die auf ihn hinwiesen, und dass er alle messianischen Vorhersagen in der gesamten Heiligen Schrift erfüllt habe (siehe Lukas 24,44). Er war nicht gekommen, um irgendeinen Teil der Schriften abzuschaffen, die er selbst gegeben hatte (1. Petrus 1,11) und die von ihm zeugten (Johannes 5,39; vgl. Lukas 4,21). Der große Streitpunkt zwischen Christus und den Schriftgelehrten hatte mit den Traditionen zu tun, mit denen sie Gottes heiliges Gesetz auslegten (siehe Markus 1,22.44; 2,19.24; 7,1-14; Lukas 6,9). Von Kindheit an hatte Jesus unabhängig von diesen rabbinischen Gesetzen gehandelt, die keine Grundlage im Alten Testament hatten. Was er nun ablegte, war die falsche Auslegung der Schrift durch die Schriftgelehrten, nicht das Gesetz selbst.

Anstatt es abzuschaffen, tat er tat er genau das Gegenteil. Zu „erfüllen“ (Gr. plēroō, „voll machen“, „voll füllen“) In der Bergpredigt verdeutlichte der Urheber des Gesetzes die wahre Bedeutung seiner Vorschriften und die Art und Weise, in der seine Vorschriften im Denken und Leben der Bürger des Reiches, das er zu errichten gekommen war, zum Ausdruck kommen würden (siehe Jesaja 59,7). Der große Gesetzgeber selbst bekräftigte nun die Verkündigungen vom Sinai als verbindlich für diejenigen, die seine Untertanen sein würden, und kündigte an, dass jeder, der sich anmaßen würde, sie entweder durch ein Gebot oder durch ein Beispiel außer Kraft zu setzen, „nicht in das Himmelreich kommen“ würde (Matthäus 5,20). Die Behauptung, Christus habe durch die Erfüllung des Sittengesetzes dieses Gesetz außer Kraft gesetzt, steht nicht im Einklang mit dem Kontext der Aussage Christi. Eine solche Auslegung leugnet die Bedeutung, die Christus offensichtlich vermitteln wollte, indem sie ihn praktisch widersprüchlich sagen lässt, dass er zwar nicht gekommen sei, um das Gesetz zu „zerstören“, sondern um es durch seine Erfüllung „aufzuheben“! Diese Interpretation ignoriert die starke Antithese in dem Wort „alla“, („sondern“), und macht die beiden Ideen praktisch synonym! Indem Christus das Gesetz erfüllte, „füllte“ er es einfach mit Bedeutung – indem er den Menschen ein Beispiel für vollkommenen Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes gab, damit dasselbe Gesetz „in uns erfüllt [plēroō] werde“ (Römer 8,3.4). Das gleiche Wort wird übrigens auch in Matthäus 3,15 verwendet, wo Jesus über seine Taufe spricht: „Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen [plēroō]. Da ließ er’s ihm zu.“ „Erfüllen“ bedeutet hier „tun“ oder „danach handeln“. Das Wort hat nichts mit „beseitigen“ oder „abschaffen“ zu tun.

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