Friede sei mit euch
Lukas 24,33-49; Johannes 20,19-29
Die beiden Jünger erreichten Jerusalem und betraten die Stadt durch das Osttor, das bei festlichen Anlässen nachts geöffnet blieb. In den Häusern war es dunkel und still, doch im Schein des aufgehenden Mondes fanden die Wanderer ihren Weg durch die engen Gassen. Sie gingen zum Obergemach, wo Jesus die Stunden des letzten Abends vor seinem Tod verbracht hatte. Sie wussten, dass sie hier ihre Brüder finden würden. Sie wussten auch, dass die Jünger – obwohl es schon spät geworden war – nicht eher ruhen würden, bis sie Gewissheit erlangt hätten, was mit dem Leichnam ihres Herrn geschehen war. Die Tür zum Raum war fest verschlossen. Sie klopften, um eingelassen zu werden, doch niemand antwortete. Alles blieb still. Dann nannten sie ihre Namen, und endlich wurde die Tür vorsichtig entriegelt. Sie traten ein und mit ihnen noch ein anderer, unsichtbarer Gast. Dann wurde die Tür wieder verschlossen, um Spionen den Eingang zu verwehren.
Die Reisenden sahen, dass alle überrascht und aufgeregt waren. Die Stimmen derer, die sich im Raum versammelt hatten, begannen immer wieder Lobes und Dankeslieder anzustimmen, und riefen aus: »Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon [Petrus] erschienen.« (Lukas 24,34) Die beiden Wanderer erzählten – von ihrem eiligen Marsch noch ganz außer Atem – die wundersame Geschichte, wie ihnen Jesus erschienen war. Kaum hatten sie ihren Bericht beendet und einige sagten noch, sie könnten dies nicht glauben, weil es zu schön sei, um wahr zu sein -, als plötzlich eine andere Gestalt vor ihnen stand. Alle Augen richteten sich auf den Fremden. Niemand hatte angeklopft und um Einlass gebeten. Auch hatte man keinerlei Schritte gehört. Die Jünger erschraken und fragten sich, was das wohl zu bedeuten habe. Doch dann hörten sie eine Stimme, die keinem anderen gehörte als ihrem Meister. Klar und deutlich kamen die Worte über seine Lippen: »Friede sei mit euch!« (Lukas 24,36b) »Sie erschraken und fürchteten sich; denn sie meinten, einen Geist zu sehen. Aber er sagte: ›Warum seid ihr so erschrocken? Warum kommen euch solche Gedanken? Schaut mich doch an, meine Hände, meine Füße, dann erkennt ihr, dass ich es wirklich bin! Fasst mich an und überzeugt euch; ein Geist hat doch nicht Fleisch und Knochen wie ich!‹ Während er das sagte, zeigte er ihnen seine Hände und seine Füße.« (Lukas 24,37-40 GNB) Sie schauten auf die Hände und Füße, die von den schrecklichen Nägeln durchbohrt worden waren. Sie erkannten auch seine Stimme, die ihnen wie keine andere in Erinnerung geblieben war. »Da sie aber noch nicht glaubten vor Freude und sich verwunderten, sprach er zu ihnen: Habt ihr etwas zu essen hier? Da reichten sie ihm ein Stück gebratenen Fisch und etwas Wabenhonig. Und er nahm es und aß vor ihnen.« (Lukas 24,41-43 Schl.) »Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.« (Johannes 20,20b) Glaube und Freude traten an die Stelle des Unglaubens. Mit Gefühlen, die nicht mit Worten zu beschreiben sind, bekannten sie sich zu ihrem auferstandenen Erlöser. Bei der Geburt von Jesus hatten die Engel den Menschen Frieden und Wohlgefallen verkündigt (vgl. Lukas 2,14). Als der Erlöser nun nach seiner Auferstehung zum ersten Mal den Jüngern erschien, begrüßte er sie mit dem Segenswort: »Friede sei mit euch!« (Lukas 24,36b) Jesus ist immer bereit, jenen Menschen Frieden zuzusprechen, die von Zweifeln und Ängsten geplagt werden. Er wartet darauf, dass wir ihm unsere Herzenstür öffnen und zu ihm sagen: Bleibe bei uns! Er sagt: »Merkst du nicht, dass ich vor der Tür stehe und anklopfe? Wer meine Stimme hört und mir öffnet, zu dem werde ich hineingehen, und wir werden miteinander essen – ich mit ihm und er mit mir.« (Offenbarung 3,20 NGÜ) Die Auferstehung von Jesus ist ein Vorbild für die endgültige Auferstehung all jener, die in ihm ruhen. Das Angesicht des auferstandenen Erlösers, sein Auftreten und seine Sprache waren seinen Jüngern bestens vertraut. Wie Jesus vom Tod auferstand, so werden jene auferweckt, die im Glauben an ihn schlafen. Wir werden unsere Freunde erkennen, so wie die Jünger Jesus erkannten. Auch wenn sie in diesem irdischen Leben entstellt, krank oder verkrüppelt waren, werden sie ebenmäßig und vollkommen gesund auferstehen. Und doch wird ihre Persönlichkeit im verherrlichten Leib vollständig erhalten bleiben. Dann werden wir erkennen, so wie wir jetzt schon erkannt sind (vgl. 1. Korinther 13,12). In den Gesichtern der Erlösten, die vom Glanz des Angesichts von Jesus leuchten, werden wir die Züge derer wiedererkennen, die wir lieben.
Als Jesus seinen Jüngern erschien, erinnerte er sie an die Worte, die er vor seinem Tod zu ihnen gesprochen hatte, nämlich dass alle Dinge erfüllt werden müssten, die im Gesetz des Mose, in den Propheten und in den Psalmen über ihn geschrieben stehen. »Und er half ihnen, die Heiligen Schriften richtig zu verstehen. ›Hier steht es geschrieben erklärte er ihnen: ›Der versprochene Retter muss leiden und sterben und am dritten Tag vom Tod auferstehen. Und den Menschen aller Völker muss verkündet werden, dass ihnen um seinetwillen Umkehr zu Gott und Vergebung der Schuld angeboten wird. In Jerusalem muss der Anfang gemacht werden. Ihr seid Zeugen geworden von allem, was geschehen ist, und sollt es überall bezeugen!‹« (Lukas 24,45-48 GNB) Nun begannen die Jünger das Wesen und das Ausmaß ihrer Aufgabe zu begreifen. Sie sollten der Welt die großartigen Wahrheiten verkünden, die ihnen Jesus anvertraut hatte: die Ereignisse seines Lebens, seinen Opfertod und seine Auferstehung, die Prophezeiungen, die auf diese Geschehnisse hinwiesen, die Heiligkeit des Gesetzes Gottes, die Geheimnisse des Erlösungsplans und die Macht von Christus, Sünden zu vergeben. Von alledem waren sie Zeugen geworden, und nun sollten sie dies der Welt mitteilen. Sie sollten das Evangelium des Friedens verkünden und der Rettung durch Reue und die Kraft des Erlösers.
»Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.« (Johannes 20,22.23 EÜ) Der Heilige Geist hatte sich noch nicht völlig manifestiert, denn die Verherrlichung von Christus stand noch bevor. Die Verleihung des Heiligen Geistes in einem umfassenderen Ausmaß fand erst nach der Himmelfahrt von Christus statt (vgl. Apostelgeschichte 2,33). Bevor sie diesen nicht empfangen hatten, konnten sie den Auftrag, der Welt das Evangelium zu verkünden, nicht erfüllen. Nun jedoch erhielten sie den Heiligen Geist aus einem besonderen Grund. Bevor die Jünger ihren offiziellen Dienst in Bezug auf die Gemeinde ausüben konnten, hauchte sie Christus mit seinem Geist an. Er war dabei, ihnen eine besonders heilige Aufgabe anzuvertrauen. Er wollte ihnen die Tatsache vor Augen führen, dass dieser Dienst ohne den Heiligen Geist nicht ausgeführt werden konnte. Der Heilige Geist ist der Atem des geistlichen Lebens im Menschen. Jemanden mit dem göttlichen Geist auszurüsten, bedeutet, ihn mit dem Leben von Christus zu erfüllen. Wer den Geist empfängt, wird von den Wesenszügen von Christus geprägt. Nur jene, die auf diese Weise von Gott unterwiesen werden, an deren Herz der Geist wirkt und in deren Leben sich das Leben von Christus offenbart, können als seine Repräsentanten gelten und zum Wohl der Gemeinde dienen. »Wem ihr die Sünden vergebt«, sagte Christus, »dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.« (Johannes 20,23 EÜ) Christus gab damit niemandem die Freiheit, über andere zu urteilen. Bereits in der Bergpredigt hatte er dies untersagt, denn das Richten steht allein Gott zu. Der Gemeinde als Organisation aber ist vom Herrn eine Verantwortung für jedes einzelne Mitglied auferlegt. Die Gemeinde hat die Pflicht, jene, die in Sünde fallen, zu warnen, zu unterweisen und nach Möglichkeit wieder aufzurichten. »In aller Geduld und mit guter Lehre sollst du die Menschen zurechtweisen, tadeln und ermutigen« (2. Timotheus 4,2b NLB), spricht der Herr. Gehe mit Fehlverhalten gewissenhaft um! Warne jeden Menschen, der in Gefahr ist, und lass es nicht zu, dass sich jemand selbst betrügt! Nenne die Sünde beim Namen! Verkündige, was Gott über Lüge, Sabbatübertretung, Diebstahl, Götzendienst und jedes andere Übel gesagt hat, denn »die solches tun, werden das Reich Gottes nicht erben« (Galater 5,21b). Wenn sie aber in der Sünde verharren, wird das Urteil, das du ihnen aus der Heiligen Schrift angekündigt hast, im Himmel über sie ausgesprochen werden. Indem sie die Sünde wählen, lehnen sie Christus ab. Die Gemeinde muss zeigen, dass sie ihre Taten nicht gutheißt, oder sie selbst entehrt ihren Herrn. Sie muss über die Sünde so urteilen, wie Gott das tut, und mit ihr so umgehen, wie Gott es angeordnet hat, dann wird ihr Handeln im Himmel gutgeheißen werden. Wer die Autorität der Gemeinde verachtet, lehnt die Autorität von Christus selbst ab. Doch diese Darstellung hat eine frohere Kehrseite. »Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben.« (Johannes 20,23a EÜ) Lasst uns diesen Gedanken immer wieder vergegenwärtigen! Wer sich für Irrende einsetzt, soll immer auf Christus schauen. Ihr Hirten, kümmert euch liebevoll um die Herde auf der Weide des Herrn und erzählt den Irrenden von der vergebenden Barmherzigkeit des Erlösers! Ermutigt den Sünder, umzukehren und an den zu glauben, der vergeben kann! Verkündet in der Vollmacht des Wortes Gottes: »Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit.« (1. Johannes 1,9) Alle, die bereuen, haben die Zusicherung: »Er wird sich wieder über uns erbarmen, alle unsere Sünden zertreten und alle unsere Verfehlungen ins tiefe Meer werfen!« (Micha 7,19 NLB) Die Gemeinde ihrerseits soll die Reue des Sünders mit dankbarem Herzen annehmen! Führt den Reumütigen aus der Finsternis des Unglaubens in das Licht des Glaubens und der Gerechtigkeit und legt seine zitternde Hand in die liebevolle Hand von Jesus! Eine solche Vergebung wird im Himmel gutgeheißen. Nur in diesem Sinn hat die Gemeinde die Vollmacht, den Sünder von seiner Schuld freizusprechen. Sündenvergebung kann nur durch die Verdienste von Christus erlangt werden. Weder ein Mensch noch eine Gemeinschaft hat die Macht, einen Menschen von Schuld zu befreien. Christus beauftragte seine Jünger, allen Völkern zu verkünden, dass sie in seinem Namen Vergebung der Sünden haben. Sie selbst jedoch waren nicht bevollmächtigt, auch nur die geringste Sünde wegzunehmen. »Bei niemand anderem ist Rettung zu finden; unter dem ganzen Himmel ist uns Menschen kein anderer Name gegeben, durch den wir gerettet werden können.« (Apostelgeschichte 4,12 NGÜ).
Als Jesus seinen Jüngern zum ersten Mal im Obergemach begegnete, war Thomas nicht bei ihnen. Wohl hörte er die Berichte der anderen und erhielt genügend Beweise für die Auferstehung von Jesus, doch sein Herz war von Schwermut und Unglaube erfüllt. Als er hörte, wie die Jünger über die wunderbaren Erscheinungen des auferstandenen Erlösers erzählten, wurde er nur noch verzweifelter. Wenn Jesus wirklich von den Toten auferstanden war, dann konnte es keine Hoffnung auf ein tatsächlich irdisches Königreich mehr geben. Zudem verletzte es seinen Stolz, wenn er daran dachte, dass sich sein Meister außer ihm allen anderen Jüngern offenbart haben sollte. Er war entschlossen, das Gehörte nicht zu glauben, und brütete eine ganze Woche lang über seinem Elend, das im Gegensatz zur Hoffnung und zum Glauben seiner Brüder umso dunkler erschien. Während dieser Zeit erklärte er wiederholt: »Das glaube ich nicht, es sei denn, ich sehe die Wunden von den Nägeln in seinen Händen, berühre sie mit meinen Fingern und lege meine Hand in die Wunde an seiner Seite.« (Johannes 20,25b NLB) Er war weder bereit, mit den Augen seiner Brüder zu sehen, noch einen Glauben in Anspruch zu nehmen, der sich auf ihr Zeugnis stützte. Er liebte seinen Herrn innig, doch er ließ es zu, dass Eifersucht und Misstrauen von seinem Verstand und seinem Herzen Besitz ergriffen. Einigen Jüngern diente das vertraute Obergemach als vorläufige Unterkunft. Abends versammelten sich dort alle, außer Thomas. Eines Tages entschloss sich auch Thomas, die anderen aufzusuchen. Trotz seines Unglaubens hegte er die schwache Hoffnung, dass die gute Nachricht doch wahr sein könnte. Während des Abendessens sprachen die Jünger über die Beweise, die ihnen Christus in den Weissagungen gegeben hatte. »Die Türen waren verschlossen; doch plötzlich stand Jesus, genau wie zuvor, in ihrer Mitte. Er sprach: ›Friede sei mit euch!‹« (Johannes 20,26b) Dann wandte er sich an Thomas und sagte: »Lege deine Finger auf diese Stelle hier und sieh dir meine Hände an. Lege deine Hand in die Wunde an meiner Seite. Sei nicht mehr ungläubig, sondern glaube!« (Johannes 20,27 NLB) Diese Worte zeigten, dass er die Gedanken und Äußerungen von Thomas kannte. Der zweifelnde Jünger wusste, dass niemand seiner Mitbrüder Jesus in der vergangenen Woche gesehen hatte. Sie hatten ihrem Meister nichts von seinem Unglauben erzählen können. Da erkannte er den Einen, der vor ihm stand, als seinen Herrn und verlangte nicht länger nach Beweisen. Voller Freude warf er sich Jesus zu Füßen und rief aus: »Mein Herr und mein Gott!« (Johannes 20,28b) Jesus nahm sein Bekenntnis an, tadelte ihn aber behutsam wegen seines Unglaubens: »Thomas, du glaubst, weil du mich gesehen hast; glückselig sind, die nicht sehen und doch glauben!« (Johannes 20,29 Schl.) Christus hätte sich mehr über seinen Glauben gefreut, wenn Thomas bereit gewesen wäre, das Zeugnis seiner Brüder anzunehmen. Würde die Welt heute dem Beispiel von Thomas folgen, würde niemand an die Erlösung glauben, denn alle, die Christus annehmen, müssen sich auf das Zeugnis anderer verlassen. Viele, die zum Zweifeln neigen, entschuldigen sich mit der Begründung, sie würden auch glauben, wenn sie denselben Beweis hätten, den Thomas von seinen Gefährten erhielt. Sie erkennen nicht, dass sie weitaus mehr haben als diesen Beweis. Viele warten wie Thomas darauf, dass ihnen jeder Grund zum Zweifeln genommen wird, doch ihr Wunsch wird sich nie erfüllen. So sehen sie sich Schritt für Schritt in ihrem Unglauben bestätigt. Jene, die sich selbst dazu erziehen, die Schattenseiten ihres Lebens zu betrachten, sich beklagen und jammern, wissen nicht, was sie tun. Sie säen Zweifel und werden Zweifel ernten. Daher werden viele in einer Zeit, in der Glaube und Vertrauen unentbehrlich sind, feststellen, dass sie weder hoffen noch glauben können. Durch sein Verhalten Thomas gegenüber wollte Jesus seine Nachfolger etwas lehren. Sein Beispiel zeigt uns, wie wir mit jenen umgehen sollen, die im Glauben schwach geworden sind und sich von ihren Zweifeln lenken lassen. Jesus überhäufte Thomas weder mit Vorwürfen, noch ließ er sich auf eine Diskussion ein. Er offenbarte sich selbst dem Zweifelnden. Thomas hatte äußerst unvernünftig gehandelt, als er die Bedingungen definierte, unter welchen er glauben würde. Jesus aber durchbrach mit seiner großherzigen Liebe und Rücksicht sämtliche Schranken. Der Unglaube wird selten durch Wortgefechte beseitigt. Er greift gewöhnlich zur Selbstverteidigung und findet immer neue Unterstützung und Rechtfertigung. Zeigt den Menschen Jesus in seiner Liebe und Barmherzigkeit als den gekreuzigten Erlöser! Dann wird man von vielen einst unwilligen Lippen das Bekenntnis von Thomas hören: »Mein Herr und mein Gott!« (Johannes 20,28b)