Die Fußwaschung
Lukas 22,7-18.24; Johannes 13,1-17
Im Obergemach eines Hauses in Jerusalem saß Christus mit seinen Jüngern am Tisch. Sie hatten sich dort versammelt, um das Passafest zu feiern, und der Erlöser sehnte sich danach, dieses Fest mit seinen Jüngern allein zu begehen. Er wusste, dass »seine Stunde« gekommen war (vgl. Johannes 13,1), denn er selbst war das wahre Opferlamm. An dem Tag, an dem das Passa gegessen wurde, sollte er geopfert werden. Nun war er im Begriff, den Zorneskelch zu trinken, und bald würde er die abschließende Leidenstaufe empfangen müssen. Es blieben ihm nur noch wenige Stunden der Ruhe, und diese wollte er zum Wohl seiner geliebten Jünger verbringen.
Das ganze Leben von Jesus zeichnete sich durch selbstloses Dienen aus. Alle seine Taten hatten bezeugt, dass er nicht gekommen war, »um bedient zu werden, sondern um zu dienen« (Matthäus 20,28b Elb.). Seine Jünger jedoch hatten diese Lektion noch nicht gelernt. Bei diesem letzten Passamahl wiederholte Jesus seine Lehre noch einmal anhand eines Beispiels, das sich ihrem Herzen und Sinn für immer einprägen sollte. Die Gespräche zwischen Jesus und seinen Jüngern, die von allen sehr geschätzt wurden, waren gewöhnlich Momente stiller Freude. Die Passamahlzeiten waren stets besonders bedeutsame Augenblicke gewesen. Doch bei diesem Anlass war Jesus betrübt. Es war ihm schwer ums Herz, und auf seinem Angesicht lag ein Schatten. Als er mit seinen Jüngern im Obergemach zusammenkam, spürten sie, dass ihn etwas sehr bedrückte. Obwohl sie die Ursache nicht kannten, nahmen sie Anteil an seinem Kummer. Als sie um den Tisch versammelt waren, sprach Jesus mit trauriger Stimme die bewegenden Worte: »Mich hat sehnlich verlangt, vor meinem Leiden mit euch dieses Passalamm zu essen. Denn ich sage euch: Ich werde es nicht mehr essen, bis es seine Erfüllung findet im Reich Gottes. Und er nahm einen Kelch, sprach das Dankgebet und sprach: Nehmt ihn und teilt ihn unter euch. Denn ich sage euch: Von jetzt an werde ich von der Frucht des Weinstocks nicht mehr trinken, bis das Reich Gottes kommt.« (Lukas 22,1518 ZÜ) Christus »wusste, dass für ihn die Stunde gekommen war, diese Welt zu verlassen und zum Vater zu gehen. Er hatte die Menschen, die in der Welt zu ihm gehörten, immer geliebt. Jetzt gab er ihnen einen letzten und äußersten Beweis seiner Liebe.« (Johannes 13,1b GNB) Nun stand er im Schatten des Kreuzes, und der Schmerz quälte sein Herz. Ihm war bewusst, dass er in der Stunde seines Verrats verlassen sein und auf die erniedrigendste Weise – wie ein Verbrecher – getötet werden wird. Er kannte die Undankbarkeit und Grausamkeit derer, die zu retten er gekommen war. Ihm war bewusst, wie groß das Opfer war, das er bringen musste und für wie viele es vergeblich sein würde. Das Wissen um all das, was ihm bevorstand, hätte ihn eigentlich beim Gedanken an seine eigene Erniedrigung und sein Leiden überwältigen können. Doch er blickte auf die Zwölf, die ihn als die Seinen begleitet hatten. Nach seiner Schmach und Schande und seiner schrecklichen Behandlung würden sie im Kampf der Welt zurückgelassen werden. Seine Gedanken an sein eigenes kommendes Leiden waren stets mit der Zukunft seiner Jünger verbunden. Er dachte nicht an sich selbst. Es war die Sorge um seine Jünger, die ihn mehr als alles andere beschäftigte. An diesem letzten Abend mit seinen Jüngern hatte ihnen Jesus viel zu sagen. Wären sie bereit gewesen, das aufzunehmen, was er ihnen mitteilen wollte, wären sie vor herzzerreißender Qual, vor Enttäuschung und Unglauben bewahrt geblieben. Aber Jesus sah, dass sie nicht ertragen konnten, was er ihnen zu sagen hatte. Als er in ihre Gesichter schaute, erstarben die mahnenden und tröstenden Worte auf seinen Lippen. Für einige Momente blieb alles still, und es sah aus, als würde Jesus auf etwas warten. Die Jünger waren verunsichert. Ihre Anteilnahme und ihr Mitgefühl, verursacht durch den Kummer ihres Meisters, waren anscheinend verflogen. Seine traurigen Worte, die auf sein eigenes Leiden hinwiesen, hatten sie nur wenig beeindruckt. Die Blicke, die sie einander zuwarfen, sprachen vielmehr von Eifersucht und Zank. Es entstand ein »Streit über die Frage, wer von ihnen als der Größte zu gelten habe« (Lukas 22,24 NGÜ). Dieser Streit, den sie auch in der Gegenwart von Jesus fortsetzten, betrübte und verletzte ihn. Die Jünger klammerten sich an ihre Lieblingsidee, dass Christus seine Macht durchsetzen und den Thron Davids besteigen werde. Und im Herzen sehnte sich noch immer jeder danach, der Größte im Reich Gottes zu sein. Sie hatten sich selbst und untereinander beurteilt. Doch anstatt den anderen höher zu achten, hatte sich jeder selbst an die erste Stelle gesetzt. Die Bitte von Jakobus und Johannes, auf der rechten und linken Seite des Thrones von Christus sitzen zu dürfen, hatte die Entrüstung der anderen hervorgerufen. Dass die beiden Brüder es gewagt hatten, um den höchsten Platz im Reich zu bitten, hatte die anderen zehn so sehr verärgert, dass sie sich einander zu entfremden drohten. Sie hatten den Eindruck, falsch beurteilt worden zu sein, und meinten, ihre Treue und ihre Fähigkeiten würden nicht geschätzt. Judas war über Jakobus und Johannes am meisten erzürnt. Als die Jünger den Abendmahlsraum betraten, waren ihre Herzen mit Groll erfüllt. Judas drängte sich an die linke Seite von Christus, Johannes befand sich auf der rechten. Judas war fest entschlossen, den höchsten Platz – wenn es diesen gab – einzunehmen. Dieser Platz, so dachte man, befinde sich gleich neben Christus. Doch Judas war ein Verräter.
Es gab noch einen weiteren Grund zur Auseinandersetzung. Bei einem Fest war es Brauch, dass ein Diener den Gästen die Füße wusch, und dafür waren bereits die entsprechenden Vorbereitungen getroffen worden. Krug, Schüssel und Handtuch lagen für die Fußwaschung bereit. Da aber kein Diener anwesend war, gehörte es zur Aufgabe der Jünger, dies zu tun. Doch keiner von ihnen konnte sich dazu entschließen, seinen verletzten Stolz aufzugeben und die Rolle des Dieners zu übernehmen. Ihre Gelassenheit und Gleichgültigkeit erweckten den Anschein, als wäre ihnen nicht bewusst, dass es etwas für sie zu tun gab. Mit ihrem Schweigen weigerten sie sich, sich selbst zu demütigen. Wie konnte Jesus diese armen Männer dahin bringen, dass Satan keinen entscheidenden Sieg über sie errang? Wie konnte er ihnen zeigen, dass ein bloßes Bekenntnis zur Jüngerschaft sie noch nicht zu Jüngern machte oder ihnen einen Platz in seinem Königreich sicherte? Wie konnte er ihnen deutlich machen, dass wahre Größe in echter Demut und liebevollem Dienst für andere besteht? Wie konnte er Liebe in ihren Herzen entfachen und sie dazu befähigen, das zu verstehen, was er ihnen sagen wollte? Die Jünger machten keinerlei Anstalten, sich gegenseitig einen Dienst zu erweisen. Jesus wartete eine Weile, um zu sehen, was sie tun würden. Dann erhob er – der göttliche Lehrer – sich selbst vom Tisch. Er legte sein Obergewand ab, das ihn in seiner Bewegung einschränkte, nahm ein Tuch und band es sich um. Erstaunt sahen die Jünger zu und warteten schweigend, was nun geschehen würde. Danach goss er »Wasser in eine Schüssel. Dann fing er an, seinen Jüngern die Füße zu waschen und sie mit dem Tuch abzutrocknen« (Johannes 13,5 GNB). Diese Handlung öffnete den Jüngern die Augen. Sie fühlten sich zutiefst beschämt und gedemütigt. Sie verstanden die unausgesprochene Zurechtweisung und sahen sich selbst in einem ganz neuen Licht. Auf diese Weise drückte Christus seine Liebe zu seinen Jüngern aus. Ihr selbstsüchtiger Geist bekümmerte ihn. Doch er ließ sich in dieser Angelegenheit in keinerlei Auseinandersetzung mit ihnen ein, sondern gab ihnen ein Beispiel, das sie nie vergessen würden. Seine Liebe zu ihnen konnte nicht so leicht erschüttert oder ausgelöscht werden. »Jesus wusste, dass der Vater ihm alles in die Hand gegeben hatte. Er wusste, dass er von Gott gekommen war und bald wieder zu Gott zurückkehren würde.« (Johannes 13,3 GNB). Er war sich seiner Göttlichkeit völlig bewusst, hatte aber seine Königskrone und seine königlichen Gewänder abgelegt und die Gestalt eines Knechtes angenommen. Eine der letzten Handlungen seines Erdenlebens bestand darin, sich wie ein Diener zu gürten und dessen Aufgabe zu übernehmen.
Vor dem Passafest hatte sich Judas ein zweites Mal mit den Priestern und Schriftgelehrten getroffen und mit ihnen einen Vertrag abgeschlossen, um ihnen Jesus auszuliefern. Dennoch gesellte er sich danach wieder zu den Jüngern, als ob er nichts Unrechtes getan hätte, und zeigte Interesse an den Vorbereitungen des Festes. Die Jünger wussten nicht, was Judas vorhatte, nur Jesus kannte sein Geheimnis. Trotzdem stellte er ihn nicht bloß, denn er sehnte sich danach, ihn zu retten. Seinetwegen empfand er dieselbe Last auf seinem Herzen wie für Jerusalem, als er über die dem Untergang geweihte Stadt weinte. Betrübt rief er aus: »Wie könnte ich dich aufgeben!« (vgl. Hosea 11,8a) Judas spürte die überwältigende Macht dieser Liebe. Als die Hände des Erlösers seine schmutzigen Füße wuschen und mit dem Tuch abtrockneten, durchdrang sein Herz ganz und gar das Verlangen, hier und jetzt seine Sünde zu bekennen. Doch er wollte sich nicht demütigen und verschloss sein Herz gegen die aufkommende Reue. Die alten Regungen, die für einen Augenblick zurückgedrängt waren, beherrschten ihn wieder, und er war verärgert, dass Christus den Jüngern die Füße wusch. Wenn sich Jesus so erniedrigte, dachte er, konnte er nicht Israels König sein! Jede Hoffnung auf weltliche Ehre in einem irdischen Königreich war zerstört. Judas war nun überzeugt, dass man als Nachfolger von Christus nichts gewinnen konnte. Nachdem er gesehen hatte, dass sich Jesus – wie er meinte – selbst entwürdigte, fühlte er sich in seiner Absicht bestärkt, ihn zu verleugnen und zu bekennen, dass er betrogen worden war. Von einem bösen Geist besessen, beschloss er, den Plan, in den er eingewilligt hatte, zu Ende zu führen und seinen Herrn zu verraten!
Judas hatte mit Erfolg versucht, den ersten Platz am Tisch zu erlangen. So kam es, dass Jesus zuerst ihm diente. Johannes, über den Judas so verbittert war, musste bis zuletzt warten. Doch Johannes wertete dies nicht als Tadel oder als einen Ausdruck von Geringschätzung. Die Jünger sahen Jesus zu und waren tief bewegt. Als Petrus an die Reihe kam, rief er überrascht aus: »Herr, du willst mir die Füße waschen?« (Johannes 13,6b NGÜ) Die Herablassung von Jesus zerriss ihm sein Herz. Er schämte sich bei dem Gedanken, dass nicht einer der Jünger zu diesem Dienst bereit gewesen war. Doch Jesus antwortete ihm: »Was ich tue, verstehst du jetzt nicht; aber später wirst du es begreifen.« (Johannes 13,7 NGÜ) Petrus konnte es nicht ertragen, seinen Herrn, von dem er glaubte, dass er Gottes Sohn war, als Diener vor sich zu sehen. Sein Innerstes lehnte sich gegen diese Demütigung auf. Er begriff nicht, dass Christus aus diesem Grund in die Welt gekommen war. Ganz entschieden rief er aus: »Nie und nimmer wäschst du mir die Füße!« (Johannes 13,8a NGÜ) Voller Ernst erwiderte ihm Jesus: »Wenn ich dich nicht wasche, gehörst du nicht zu mir.« (Johannes 13,8b NLB) Der Dienst, den Petrus verweigerte, war Sinnbild einer höheren Reinigung. Christus war gekommen, um das sündenbefleckte Herz zu reinigen. Indem Petrus es ablehnte, sich von Christus die Füße waschen zu lassen, wies er die höhere Reinigung zurück, die in der niedrigeren enthalten war. Dadurch wies er in Wirklichkeit seinen Herrn zurück. Es ist nicht demütigend für den Herrn, wenn wir ihm gestatten, uns zu reinigen. Wahre Demut besteht darin, jede für uns getroffene Vorkehrung dankbar anzunehmen und von ganzem Herzen für ihn zu wirken.
Bei den Worten: »Wenn ich dich nicht wasche, gehörst du nicht zu mir« (Johannes 13,8b NLB) gab Petrus seinen Stolz und Eigensinn auf. Den Gedanken, von Christus getrennt zu sein, konnte er nicht ertragen. Das hätte für ihn den Tod bedeutet. »Herr, dann nicht nur die Füße«, rief er aus, »sondern auch die Hände und den Kopf!« Jesus erwiderte: »Wer vorher gebadet hat, ist am ganzen Körper rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen.« (Johannes 13,9.10a GNB) Diese Worte bedeuteten mehr als körperliche Reinheit. Christus sprach hier noch immer von der höheren Reinigung, die durch die geringere sinnbildlich dargestellt wurde. Wer aus dem Bad kam, war rein. Doch die Füße in den Sandalen wurden schnell wieder staubig und mussten erneut gewaschen werden. Petrus und seine Brüder waren ebenso durch die große Quelle rein geworden. Dort war ihre Sünde und Unreinheit abgewaschen worden, und Christus erkannte sie als die Seinen an. Doch durch die Versuchung hatten sie sich wieder zur Sünde verführen lassen und benötigten deshalb seine reinigende Gnade nach wie vor. Als sich Jesus das Tuch umband, um den Staub von ihren Füßen abzuwaschen, wollte er mit dieser Handlung ihre Herzen von Entfremdung, Eifersucht und Stolz reinigen. Dies war weitaus bedeutsamer als das Waschen ihrer staubigen Füße. Mit der Gesinnung, die sie zu diesem Zeitpunkt hatten, war keiner von ihnen auf die Gemeinschaft mit Christus vorbereitet. Solange ihnen Demut und Liebe fehlten, waren sie nicht bereit, am Passamahl teilzunehmen oder sich an der Gedenkfeier zu beteiligen, die Christus nun einsetzen wollte. Ihre Herzen mussten gereinigt werden. Stolz und Selbstsucht führen zu Uneinigkeit und Hass. Doch all dies wusch Jesus weg, indem er ihre Füße reinigte. Ihre Gesinnung veränderte sich. Als Jesus sie anschaute, konnte er sagen: »Ihr seid rein.« (Johannes 13,10b) Nun waren sie im Herzen eins und liebten einander. Sie waren demütig und lernbereit geworden. Außer Judas war jeder bereit, dem anderen den höchsten Platz zuzugestehen. Mit ergebenen und dankbaren Herzen konnten sie nun die Worte, die Jesus sprach, aufnehmen. Wie Petrus und seine Brüder sind auch wir im Blut von Christus gewaschen worden. Doch oft wird die Herzensreinheit durch die Berührung mit der Sünde beschmutzt. Wir müssen zu Christus kommen, um seine reinigende Gnade zu empfangen. Petrus schreckte davor zurück, seine schmutzigen Füße von den Händen seines Herrn und Meisters berühren zu lassen. Doch wie oft kommen unsere sündigen und verunreinigten Herzen mit dem Herzen von Jesus in Berührung! Wie sehr schmerzen ihn unsere Unbeherrschtheit, unsere Eitelkeit und unser Stolz! Und dennoch müssen wir all unsere Schwachheit und Unreinheit zu ihm bringen. Er allein kann uns reinwaschen. Wir sind nicht auf die Gemeinschaft mit ihm vorbereitet, wenn wir nicht durch sein Wirken gereinigt sind. Jesus sagte den Jüngern: »Ihr seid rein, aber nicht alle.« (Johannes 13,10b) Er hatte Judas die Füße gewaschen, doch dieser hatte ihm sein Herz nicht übergeben. Deshalb war er nicht gereinigt. Judas hatte sich Christus nicht unterstellt.
Nachdem Christus die Füße der Jünger gewaschen, sein Gewand angezogen und sich wieder hingesetzt hatte, sagte er zu ihnen: »Versteht ihr, was ich an euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr sagt es zu Recht, denn ich bin es. Wenn nun ich als Herr und Meister euch die Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben: Wie ich euch getan habe, so tut auch ihr. Amen, amen, ich sage euch: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr und ein Bote nicht größer als der, der ihn gesandt hat.« (Johannes 13,12b-16 ZÜ) Christus wollte seinen Jüngern verständlich machen, dass seine Würde nicht im Geringsten geschmälert wurde, indem er ihnen die Füße gewaschen hatte. »Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr sagt es zu Recht, denn ich bin es.« (Johannes 13,13 ZÜ) Und gerade weil er ihnen so unendlich überlegen war, verlieh er diesem Dienst Würde und Bedeutsamkeit. Niemand war so erhaben wie Christus, und doch ließ er sich zum geringsten Dienst herab. Er selbst gab ein Beispiel der Demut, damit sich sein Volk nicht durch die Selbstsucht verführen lässt, die im natürlichen Herzen wohnt und stärker wird, wenn man sich selbst dient. Er wollte dieses wichtige Anliegen nicht der Verantwortung von Menschen überlassen. Er betrachtete es als so weitreichend, dass er, der Gott gleich war, seinen Jüngern als Knecht diente. Während sie sich um den höchsten Platz stritten, beugte sich der Eine nieder – er, vor dem sich jedes Knie beugen wird (vgl. Philipper 2,10) und dem zu dienen die Engel als Ehre betrachten. Er wollte denen, die ihn Herr nannten, die Füße waschen. Er wusch sogar die Füße seines Verräters. Durch sein Leben und seine Unterweisungen hat uns Christus ein vollkommenes Beispiel selbstlosen Dienens gegeben, das seinen Ursprung in Gott hat. Gott lebt nicht für sich selbst. Indem er die Welt schuf und alle Dinge erhält, dient er fortwährend anderen. »Er lässt die Sonne für Böse und Gute aufgehen und sendet Regen für die Gerechten wie für die Ungerechten.« (Matthäus 5,45b NLB) Diesen vorbildlichen Dienst hat der Vater dem Sohn übertragen. Jesus sollte an der Spitze der Menschheit stehen, damit er durch sein Beispiel lehren konnte, was Dienen bedeutet. Sein ganzes Leben stand unter dem Gesetz des Dienstes. Er diente allen und er half allen. So lebte er nach Gottes Gesetz und zeigte durch sein Beispiel, wie wir es befolgen sollen. Jesus hatte immer wieder versucht, seinen Jüngern diesen Grundsatz einzuprägen. Als ihn Jakobus und Johannes um eine Vorrangstellung baten, antwortete er ihnen: »Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener.« (Matthäus 20,26b) In meinem Reich haben Bevorzugung und Überlegenheit keinen Platz. Die einzige Größe ist die Größe der Demut, und die einzige Auszeichnung besteht darin, anderen hingebungsvoll zu dienen. Nachdem Jesus den Jüngern die Füße gewaschen hatte, sagte er: »Ein Beispiel habe ich euch gegeben: Wie ich euch getan habe, so tut auch ihr.« (Johannes 13,15 ZÜ) Mit diesen Worten forderte Christus nicht bloß zur Gastfreundschaft auf. Er wollte damit mehr sagen, als dass man den Gästen die Füße waschen sollte, um den Staub der Reise zu beseitigen. Christus setzte hier einen religiösen Dienst ein. Durch das Beispiel unseres Herrn wurde aus dieser erniedrigenden Handlung eine gesegnete Zeremonie. Die Jünger sollten sie befolgen, um die Lehren der Demut und Dienstbereitschaft immer in Erinnerung zu behalten.
Diese Handlung ist die von Christus bestimmte Vorbereitung auf das heilige Abendmahl. Solange wir an Stolz, Uneinigkeit und dem Streben nach der Vorrangstellung festhalten, ist keine Gemeinschaft mit Christus möglich, und wir sind nicht bereit, das Gemeinschaftsmahl seines Leibes und Blutes zu empfangen. Darum hat Jesus bestimmt, dass die Erinnerung an seine Erniedrigung dem Abendmahl vorausgehen soll. Wenn die Kinder Gottes diese Handlung ausführen, sollen sie sich an die Worte des Herrn der Herrlichkeit und des Lebens erinnern: »Versteht ihr, was ich an euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr, und ihr sagt es zu Recht, denn ich bin es. Wenn nun ich als Herr und Meister euch die Füße gewaschen habe, dann seid auch ihr verpflichtet, einander die Füße zu waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben: Wie ich euch getan habe, so tut auch ihr. Amen, amen, ich sage euch: Ein Knecht ist nicht größer als sein Herr und ein Bote nicht größer als der, der ihn gesandt hat. Wenn ihr das wisst – selig seid ihr, wenn ihr es tut.« (Johannes 13,13-17 ZÜ) Der Mensch neigt dazu, sich selbst höher zu achten als seinen Bruder, für sich selbst zu arbeiten und nach dem höchsten Platz zu streben. Daraus entstehen oft üble Verdächtigungen und ein verbitterter Geist. Diese verordnete Handlung, die dem Abendmahl vorausgeht, sollte solche Missverständnisse beseitigen und den Menschen vom Egoismus befreien. Seine Überheblichkeit sollte einer Herzensdemut weichen, die ihn dazu führt, seinem Bruder zu dienen. Bei dieser Handlung ist der heilige Wächter des Himmels anwesend, um diese Zeit zu einem Moment der Herzenserforschung, der Sündenerkenntnis und der frohen Gewissheit zu machen, dass die Sünden vergeben sind. Christus ist in der Fülle seiner Gnade anwesend, um das Denken zu erneuern und es weg von der Selbstsucht in neue Bahnen zu lenken. Der Heilige Geist regt das Empfindungsvermögen jener an, die dem Beispiel ihres Herrn folgen. Wenn wir an die Erniedrigung denken, die der Erlöser unseretwegen auf sich nahm, reiht sich plötzlich ein Gedanke an den anderen. Viele Erinnerungen werden in uns wachgerufen – Erinnerungen an Gottes große Güte, an das Wohlwollen und die Zuneigung irdischer Freunde. Vergessene Segnungen, missbrauchte Gnadengaben und gering geachtete Freundlichkeiten werden ins Gedächtnis zurückgerufen. Wurzeln der Bitterkeit, die die kostbare Pflanze der Liebe verdrängt haben, kommen zum Vorschein. Wir erinnern uns an Charakterschwächen und versäumte Pflichten, an Undankbarkeit gegenüber Gott und an die Gleichgültigkeit gegenüber unseren Glaubensgeschwistern. Die Sünde erscheint so, wie Gott sie sieht. Wir betrachten uns nicht selbstzufrieden, sondern sind selbstkritisch und demütig. Der Verstand erhält die Kraft, alle Schranken niederzureißen, welche zur Entfremdung geführt haben. Böse Gedanken und üble Nachrede werden aufgegeben. Sünden werden eingestanden und sind verziehen. Die überwältigende Gnade von Christus erfüllt die Seele, und seine Liebe führt die Herzen zusammen, dass sie in ihm gesegnet eins werden. Lernt man auf diese Weise, was der vorbereitende Dienst sagen will, erwacht der Wunsch nach einem höheren geistlichen Leben. Und Christus, der göttliche Zeuge, wird auf dieses Verlangen eingehen. Der Mensch wird aufgerichtet, und wir können im Bewusstsein, dass unsere Sünden vergeben sind, am Abendmahl teilnehmen. Die Sonne seiner Gerechtigkeit wird das Herz und den Verstand erfüllen, und wir sehen »das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt« (Johannes 1,29b NLB).
Für jene, die in diesem Sinn an dieser Handlung teilnehmen, wird sie niemals zu einem bloßen Zeremoniell werden. Sie wird sie beständig lehren: »Durch die Liebe diene einer dem anderen.« (Galater 5,13b) Indem Christus den Jüngern die Füße wusch, bewies er, dass er jeden Dienst tun würde – wie niedrig er auch wäre – um sie zusammen mit ihm zu Miterben seines ewigen Reichtums und der himmlischen Schatzkammern zu machen. Indem seine Nachfolger dieselbe Handlung ausführen, verpflichten sie sich, ihren Mitgläubigen in gleicher Weise zu dienen. Wann immer diese Handlung im richtigen Geist begangen wird, werden die Kinder Gottes in eine heilige Beziehung zueinander gebracht, um einander zu helfen und zu segnen. Sie versprechen, ihr Leben dem selbstlosen Dienst hinzugeben, und dies nicht nur füreinander. Ihr Arbeitsfeld ist so groß wie das ihres Meisters. Die Welt ist voll von Menschen, die unseren Dienst nötig haben. Arme, Hilflose und Unwissende gibt es überall. Jene, die mit Christus im Obergemach das Abendmahl eingenommen haben, werden hinausgehen, um zu dienen, wie er es getan hat. Christus, dem im Himmel alle dienten, kam auf die Erde, um allen zu dienen. Und weil er allen diente, werden ihm wiederum alle dienen und ihn ehren. Und jene, die an seinen göttlichen Eigenschaften und an der Freude, die Erlösten zu sehen, teilhaben wollen, müssen seinem Beispiel selbstlosen Dienens folgen. Dies alles ist in den Worten von Jesus eingeschlossen: »Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben: Wie ich euch getan habe, so tut auch ihr.« (Johannes 13,15 ZÜ) Dies war die Absicht der von ihm eingesetzten Handlung. »Wenn ihr das wisst« – wenn ihr die Absicht seiner Lehren kennt – »selig seid ihr, wenn ihr es tut« (Johannes 13,17 ZÜ).