Weh euch Schriftgelehrte und Pharisäer

Weh euch Schriftgelehrte und Pharisäer

Matthäus 23; Markus 12,41-44; Lukas 20,45-47; 21,1-4

Es war der letzte Tag, an dem Christus im Tempel lehrte. Die Aufmerksamkeit der riesigen Menschenmenge, die sich in Jerusalem versammelt hatte, war auf ihn gerichtet. Die Vorhöfe des Tempels waren mit Menschen überfüllt, die die laufende Auseinandersetzung mitverfolgten. Gespannt nahmen sie jedes Wort von Jesus auf, das über seine Lippen kam. Nie zuvor hatte man so etwas gesehen. Da stand der junge Galiläer, ganz ohne irdischen Glanz und ohne königliche Würde! Er war umgeben von Priestern in ihren reichen Gewändern, von Obersten in ihrer Amtskleidung, die mit Abzeichen verziert war, was auf ihre hohe Stellung hindeutete, und von Schriftgelehrten mit Pergamentrollen in den Händen, auf die sie häufig verwiesen. Gelassen und in königlicher Würde stand Jesus vor ihnen. Ausgestattet mit der Vollmacht des Himmels blickte er unerschrocken auf seine Feinde, die seine Lehren verworfen und verachtet hatten und ihm nach dem Leben trachteten. Sie hatten ihn häufig angegriffen, doch ihre Pläne, ihn zu fassen und zu verurteilen, waren stets gescheitert. Jeder Herausforderung war er entgegengetreten, indem er die reine, leuchtende Wahrheit darstellte, die im Gegensatz zur geistlichen Finsternis und zu den Irrtümern der Priester und Pharisäer stand. Er hatte diesen Führern ihren wahren Zustand vor Augen geführt und auch die mit Sicherheit folgende Vergeltung, wenn sie in ihren bösen Taten verharrten. Sie waren unmissverständlich gewarnt worden. Doch nun stand Jesus eine andere Aufgabe bevor. Es galt noch ein weiteres Ziel zu erreichen. Das Interesse des Volkes an Christus und seinem Wirken hatte ständig zugenommen. Die Menschen waren von seinen Lehren begeistert, doch gleichzeitig auch sehr verunsichert. Bisher hatten sie die Priester und Rabbiner wegen ihrer Klugheit und scheinbaren Frömmigkeit geachtet. In allen religiösen Angelegenheiten waren sie der Obrigkeit stets bedingungslos und gehorsam gefolgt. Doch nun merkten sie, wie diese Männer versuchten, Jesus, den Lehrer, dessen Reinheit und Weisheit nach jedem Angriff noch heller aufleuchteten, in Verruf zu bringen. Die Menschen betrachteten die finsteren Mienen der Priester und Ältesten und sahen, wie diese peinlich berührt und verwirrt waren. Sie waren erstaunt darüber, dass die Obersten nicht an Jesus glauben wollten, da seine Lehren doch so klar und einfach waren. Sie selbst wussten nicht, was sie tun sollten. Ungeduldig und besorgt beobachteten sie das Verhalten jener, deren Rat sie stets befolgt hatten. Mit den Gleichnissen, die Christus erzählte, wollte er einerseits die Obersten warnen und andererseits Menschen unterweisen, die bereit waren zu lernen. Doch dazu musste er noch deutlicher werden. Die Menschen waren zu Sklaven geworden, weil sie die Tradition verehrten und einer korrupten Priesterschaft blind vertrauten. Christus musste diese Ketten aufbrechen. Das wahre Wesen der Priester, Obersten und Pharisäer musste noch klarer offenbar werden.

Christus sagte: »Das Lehramt des Mose haben heute die Schriftgelehrten und die Pharisäer inne. Richtet euch daher nach allem, was sie euch sagen, und befolgt es. Doch richtet euch nicht nach dem, was sie tun; denn sie reden zwar, handeln aber nicht danach.« (Matthäus 23,2.3 NGÜ) Die Schriftgelehrten und Pharisäer erhoben den Anspruch, ähnlich wie Mose mit göttlicher Vollmacht ausgestattet zu sein. Sie erdreisteten sich, seinen Platz als Ausleger des Gesetzes und Richter des Volkes einzunehmen. Als solche forderten sie von den Leuten größte Ehrerbietung und völligen Gehorsam. Jesus forderte seine Zuhörer auf, alles zu tun, was die Rabbiner dem Gesetz entsprechend lehrten, nicht aber ihrem Beispiel zu folgen, weil sie selbst nicht nach ihren eigenen Lehren handelten. Sie lehrten vieles, was den Lehren der Heiligen Schrift widersprach. Deshalb sagte Jesus: »Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen.« (Matthäus 23,4) Die Pharisäer hatten viele Vorschriften eingeführt, die sich lediglich auf Traditionen stützten und die persönliche Freiheit auf unvernünftige Weise beschränkten. Bestimmte Teile des Gesetzes legten sie so aus, dass dem Volk Pflichten auferlegt wurden, die sie selbst heimlich unbeachtet ließen. Sie behaupteten, davon befreit zu sein, wenn es ihren Zwecken diente. Sie waren stets darauf bedacht, ihre Frömmigkeit zur Schau zu stellen. Nichts war ihnen zu heilig, um dieses Ziel zu verfolgen. In Bezug auf seine Gebote hatte Gott zu Mose gesagt: »Du sollst sie zum Zeichen auf deine Hand binden, und sie sollen dir zum Erinnerungszeichen über den Augen sein.« (5. Mose 6,8 Schl.) In diesen Worten liegt eine tiefe Bedeutung. Der ganze Mensch wird zum Guten hin verändert, wenn er über das Wort Gottes nachdenkt und es befolgt. Durch rechtschaffenes und barmherziges Handeln offenbaren die Hände – einer Unterschrift gleich – die Prinzipien des göttlichen Gesetzes. Sie werden sich weder mit Bestechung noch mit all dem verunreinigen, was unehrlich und verdorben ist. Stattdessen werden sie Täter der Liebe und Barmherzigkeit sein. Die Augen, die auf ein edles Ziel gerichtet sind, blicken klar und wahrhaftig. Der makellose Charakter eines Menschen, der Gottes Wort liebt und ehrt, kommt in seinem Gesicht und seinen Augen zum Ausdruck. Doch bei den damaligen jüdischen Führern war dies nicht ersichtlich. Die Weisung an Mose wurde dahingehend ausgelegt, dass diese Gebote buchstäblich am Leib getragen werden mussten. Zu diesem Zweck schrieb man sie auf Pergamentstreifen und band sie für alle sichtbar um den Kopf und die Handgelenke. Aber dies bewirkte nicht, dass Gottes Gesetz einen nachhaltigeren Einfluss auf Herz und Geist ausübte. Diese Pergamentstreifen wurden lediglich als Abzeichen getragen und sollten für Aufmerksamkeit sorgen. Sie waren dazu gedacht, die Träger als besonders fromm erscheinen zu lassen, was den Leuten Ehrerbietung abringen sollte. Dieser nutzlosen Vortäuschung versetzte Jesus einen schweren Schlag, als er sagte: »Alle ihre Werke aber tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß. Sie sitzen gern obenan bei Tisch und in den Synagogen und haben‘s gern, dass sie auf dem Markt gegrüßt und von den Leuten Rabbi genannt werden. Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Und ihr sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer ist euer Lehrer: Christus.« (Matthäus 23,5-10) Mit diesen deutlichen Worten offenbarte Jesus das selbstsüchtige, immer auf Macht und Ansehen bedachte Streben, das sich scheinbar demütig gibt, tatsächlich aber voller Habgier und Neid ist. Bei einem Fest wurden die Gäste ihrer gesellschaftlichen Stellung entsprechend platziert. Denjenigen, die den ehrenvollsten Platz erhielten, wurde die größte Aufmerksamkeit und ein besonderes Wohlwollen entgegengebracht. Die Pharisäer waren stets bemüht, derartige Ehrungen zu erheischen. Jesus tadelte dieses Verhalten.

Er rügte auch ihre Eitelkeit, die sich in ihrer Versessenheit auf die Titel »Rabbi« oder »Meister« äußerte. Solch ein Titel, erklärte er, stehe nicht Menschen zu, sondern Christus. Priester, Schriftgelehrte, Oberste, Ausleger und Verwalter des Gesetzes seien alle Brüder, Kinder eines Vaters. Jesus schärfte den Leuten ein, dass sie keinem Menschen einen Ehrentitel geben sollten, der andeutete, dieser Mensch dürfe ihr Gewissen oder ihren Glauben beherrschen. Wäre Christus heute auf Erden, umgeben von Menschen, die den Titel »Hochwürden« und »Seine Exzellenz« tragen, würde er nicht seine Worte wiederholen: »Lasst euch nicht Meister nennen; denn einer ist euer Meister: der Christus.« (Matthäus 23,10 Elb.) Die Schrift sagt über Gott: »Heilig und ehrfurchtgebietend ist sein Name.« (Psalm 111,9b NGÜ) Welchem Menschen würde wohl eine solche Ehrenbezeichnung zustehen? Wie wenig der dafür erforderlichen Weisheit und Gerechtigkeit wird doch durch Menschen sichtbar! Wie viele von denen, die diesen Titel annehmen, stellen Gottes Namen und Charakter falsch dar! Ja, wie oft verbergen sich unter einem bestickten Gewand eines hohen und heiligen Amtsträgers weltliches Streben, Willkür und übelste Sünden! Jesus fuhr fort: »Wer unter euch am größten ist, soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst groß macht, wird von Gott gedemütigt, und wer sich selbst gering achtet, wird von ihm zu Ehren gebracht.« (Matthäus 23,11.12 GNB) Immer wieder hatte Christus gelehrt, dass wahre Größe an moralischen Werten gemessen werden muss. Nach himmlischer Beurteilung besteht Charaktergröße darin, zum Wohl unserer Mitmenschen zu leben und Taten der Liebe und Barmherzigkeit zu vollbringen. Christus, der König der Herrlichkeit, war selbst ein Diener der gefallenen Menschheit. »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr das Himmelreich zuschließt vor den Menschen! Ihr geht nicht hinein, und die hinein wollen, lasst ihr nicht hineingehen.« (Matthäus 23,13) Durch ihre Verdrehung der Schrift verblendeten die Priester und Gesetzeslehrer den Verstand jener, die andernfalls eine Erkenntnis des Reiches von Christus und des inwendigen geistliche Lebens empfangen hätten, was grundlegend ist für echte Heiligkeit. »Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr bringt die Witwen um ihre Häuser und verrichtet lange, scheinheilige Gebete. Deshalb wird das Urteil, das euch erwartet, umso härter sein.« (Matthäus 23,14 EÜ) Die Pharisäer übten einen großen Einfluss auf das Volk aus und nutzten ihn für ihre eigenen Interessen. Sie gewannen das Vertrauen gottesfürchtiger Witwen und verpflichteten diese, ihr Eigentum religiösen Zwecken zu weihen. Verfügten diese gerissenen Leute dann über das Vermögen dieser Frauen, verwendeten sie es zu ihrem eigenen Vorteil. Um ihre Unehrlichkeit zu vertuschen, sprachen sie öffentlich lange Gebete und machten ein großes Aufheben um ihre Frömmigkeit. Diese Heuchelei, so erklärte Christus, werde ihnen eine umso härtere Verurteilung einbringen. Auch in unserer Zeit müssen viele, die mit ihrer Frömmigkeit prahlen, in gleicher Weise getadelt werden. Ihr Leben wird durch Selbstsucht und Habgier entehrt, doch all dies überdecken sie mit einem Gewand scheinbarer Reinheit und können so ihre Mitmenschen eine Zeitlang täuschen. Gott aber können sie nichts vormachen. Er kennt alle verborgenen Absichten im Herzen des Menschen und wird jeden nach seinen Taten richten. Christus verurteilte die Missbräuche schonungslos, doch er achtete sorgfältig darauf, die Verpflichtungen des Menschen nicht zu mindern. Er tadelte den Eigennutz, der Witwen dazu zwang, ihre Gaben herzugeben, die sie dann veruntreuten. Gleichzeitig lobte er die Witwe, die ihre Opfergabe in die Schatzkammer Gottes brachte. Der Missbrauch von Spenden konnte den Segen, den Gott für den Geber bereithielt, nicht schmälern.

Jesus stand im Vorhof des Tempels, wo die Opferkästen standen, und beobachtete die Leute, die ihre Gaben einwarfen. Viele der Wohlhabenden brachten große Summen, die sie in auffallender Weise in den Kasten legten. Jesus sah ihnen traurig zu, sagte jedoch nichts zu ihrem großzügigen Opfer. Als sich aber eine arme Witwe zögerlich näherte, so als fürchtete sie, beobachtet zu werden, hellte sich sein Blick auf. Als die Reichen und Hochmütigen an ihr vorübergingen, um ihre Gaben einzulegen, schreckte sie zurück und wagte es kaum, näher zu treten. Dennoch wünschte sie sich, etwas für die Sache zu tun, die sie so sehr liebte, auch wenn es nur wenig war. Die Frau schaute auf die Gabe in ihrer Hand. Es war im Vergleich zu den Gaben der anderen sehr wenig, doch es war alles, was sie besaß. Sie wartete auf eine günstige Gelegenheit, warf ihre beiden Münzen in den Kasten und ging eilends davon. Dabei begegnete sie dem Blick von Jesus, der fest auf sie gerichtet war. Der Erlöser rief seine Jünger zu sich und machte sie auf die Armut der Witwe aufmerksam. Dann sprach er die lobenden Worte: »Ich versichere euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten gelegt als alle anderen.« (Markus 12,43b NGÜ) Als sie diese Worte hörte, spürte sie, dass ihre Tat verstanden und geschätzt wurde. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Freude. Viele hätten ihr geraten, ihre kleine Gabe für sich zu behalten, da sie in den Händen der wohlgenährten Priester unter den vielen reichen Gaben, die in den Opferkasten gelegt wurden, nichts bedeutete. Doch Jesus verstand ihren Beweggrund. Sie war überzeugt, dass der Tempeldienst von Gott eingesetzt war, und bemühte sich, ihr Möglichstes zu tun, um diesen zu unterstützen. Sie tat, was sie konnte. Ihr Handeln sollte als ein Denkmal für alle Zeit an sie erinnern und ihr in der Ewigkeit Freude bringen. Sie hatte von Herzen gegeben; und ihre Gabe wurde nicht nach dem Wert der Münzen beurteilt, sondern nach der Liebe zu Gott und nach der Anteilnahme an seinem Werk, die sie zum Geben veranlasst hatte. Jesus sagte von der armen Witwe, sie habe »mehr in den Opferkasten gelegt als alle anderen« (Markus 12,43b NGÜ). Die Reichen hatten von ihrem Überfluss gegeben; und viele gaben nur, um von anderen gesehen und geehrt zu werden. Ihre großen Gaben hatten sich weder auf ihre Annehmlichkeiten noch auf ihren Luxus nachteilig ausgewirkt. Es war für sie kein wirkliches Opfer. Ihre Spende konnte nicht mit dem Wert der kleinen Gabe der Witwe verglichen werden. Es ist der Beweggrund, der den Charakter unserer Taten bestimmt und sie als schändlich oder moralisch hochstehend auszeichnet. Gott bewertet nicht die großen Dinge, die jedes Auge sieht und jede Zunge lobt, als kostbar. Gerade die kleinen, mit Freude erfüllten Pflichten und die bescheidenen Gaben, die kein Aufsehen erregen und dem menschlichen Auge wertlos erscheinen, schätzt Gott oft am meisten. Ein Herz voller Vertrauen und Liebe ist Gott mehr wert als die kostbarste Gabe. Die arme Witwe gab mit dem Wenigen, das sie brachte, »alles, was sie zum Leben nötig hatte« (Markus 12,44b NGÜ). Sie verzichtete auf das Essen, um diese beiden Münzen für das zu spenden, was ihr am Herzen lag. Sie tat es im Glauben und vertraute darauf, dass der himmlische Vater sie in ihrer großen Not nicht übergehen werde. Diese selbstlose Einstellung und dieser kindliche Glaube fanden bei Jesus Anerkennung. Es gibt viele unter den Armen, die das Verlangen haben, Gott für seine Gnade und Wahrhaftigkeit ihre Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Es ist ihr großer Wunsch, gemeinsam mit ihren wohlhabenderen Geschwistern Gottes Werk zu unterstützen. Diese Menschen sollten nicht abgewiesen werden. Lasst sie ihre kleinen Gaben bei der himmlischen Bank anlegen. Wird aus einem liebevollen, gotterfüllten Herzen gegeben, werden diese scheinbaren Kleinigkeiten zu geweihten und unbezahlbaren Opfergaben, die Gott mit Wohlwollen betrachtet und segnet. Als Jesus von der Witwe sagte, dass sie »mehr als sie alle eingelegt« (Lukas 21,3b) habe, waren seine Worte nicht nur in Bezug auf den Beweggrund wahr, sondern auch auf die Auswirkungen ihrer Gabe. Sie warf »zwei kleine Kupfermünzen hinein« (Markus 12,42b NGÜ) und brachte damit eine viel größere Gabe dar als alle Spenden der reichen jüdischen Führer. Der Einfluss dieser kleinen Opfergabe war wie ein Strom, der am Anfang klein, im Laufe der Jahrhunderte aber immer größer und breiter wurde. Auf vielerlei Weise hat das Beispiel dieser selbstlosen Witwe zur Unterstützung der Armen und zur Verbreitung des Evangeliums beigetragen und eine Wirkung auf Tausende Herzen in allen Ländern und zu allen Zeiten gehabt. Sie beeinflusste damit Reiche und Arme, und deren Opfer erhöhte den Wert ihrer Gabe. Der Segen Gottes, der auf den beiden Münzen der Witwe lag, machte die kleine Gabe zu einer reichen Segensquelle. So ist es mit jeder Gabe, die gegeben, und mit jeder Handlung, die mit dem aufrichtigen Verlangen getan wird, die Ehre Gottes zu vermehren. Sie entsprechen den Absichten des Allmächtigen. Ihre segensreichen Folgen kann kein Mensch ermessen.

Christus setzte seine Anklagen gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer fort: »Ihr blinden Anführer! Schlimm wird es euch ergehen! Ihr behauptet, es habe keine Bedeutung, ›beim Tempel Gottes‹ zu schwören – einen solchen Eid könne man ruhig brechen. Und im selben Atemzug behauptet ihr: Wenn man aber ›beim Gold im Tempel‹ schwört, müsse man sich daran halten. Ihr verbohrten Dummköpfe! Was ist wichtiger, das Gold oder der Tempel, durch den das Gold erst heilig wird? Ihr sagt, ein Schwur ›beim Altar‹ dürfe ruhig gebrochen werden, ein Eid ›bei den Opfergaben auf dem Altar‹ aber sei bindend! Ihr seid blind! Was ist wichtiger, die Opfergabe auf dem Altar oder der Altar, durch den die Opfergabe erst heilig wird?« (Matthäus 23,16-19 NLB) Die Priester legten Gottes Forderungen nach ihren eigenen falschen und begrenzten Richtlinien aus. Sie maßten sich an, hinsichtlich der Schwere einer Schuld bei verschiedenen Sünden feine Unterschiede zu machen. Dabei gingen sie über einzelne Vergehen leichtfertig hinweg und behandelten andere, die vielleicht kleinere Auswirkungen gehabt hätten, so, als könnten sie nicht vergeben werden. Gegen Bezahlung entbanden sie Menschen von deren Gelübden. Verschiedentlich waren sie sogar bereit, für hohe Geldsummen schwere Verbrechen zu übergehen. Gleichzeitig aber verhängten dieselben Priester und Obersten in anderen Fällen für unbedeutende Übertretungen harte Strafen. »Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr gebt den zehnten Teil von Kräutern wie Minze, Dill und Kümmel und lasst dabei die viel wichtigeren Forderungen des Gesetzes außer Acht: Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue. Diese Forderungen solltet ihr erfüllen und das andere nicht außer Acht lassen.« (Matthäus 23,23 NGÜ) Christus verurteilte mit diesen Worten erneut den Missbrauch heiliger Verpflichtungen, aber die Verpflichtungen selbst hob er nicht auf. Wie man mit dem Zehnten verfahren sollte, hatte Gott selbst angeordnet, und dies wurde schon seit frühester Zeit eingehalten. Abraham, der Vater der Gläubigen, zahlte den Zehnten von allem, was er besaß (vgl. 1. Mose 14,20). Die jüdischen Obersten erkannten zu Recht die Pflicht des Zehntenzahlens an, aber sie überließen es nicht dem Einzelnen, nach seinem eigenen Pflichtbewusstsein zu handeln. Für jeden Fall wurden willkürliche Regeln festgelegt. Die Vorschriften waren inzwischen so kompliziert geworden, dass es den Leuten unmöglich war, diese einzuhalten. Niemand wusste, wann seine Verpflichtungen erfüllt waren. So wie sie Gott gegeben hatte, war die Zehntenordnung sinnvoll und gerecht. Die Priester und Rabbiner aber hatten sie zu einer schweren Last gemacht. Alles, was Gott geboten hat, hat seine Bedeutung. Jesus betrachtete das Geben des Zehntens als eine Plicht, machte aber darauf aufmerksam, dass dies keineswegs die Vernachlässigung anderer Pflichten entschuldigte. Die Pharisäer nahmen es sehr genau mit dem Verzehnten von Gartenkräutern wie Minze, Dill und Kümmel. Das kostete sie wenig, verschaffte ihnen aber den Ruf von Genauigkeit und Frömmigkeit. Gleichzeitig unterdrückten sie mit ihren nutzlosen Einschränkungen das Volk und zerstörten dadurch die Achtung vor dem heiligen Zehntenwesen, das Gott selbst angeordnet hatte. Ihre nichtigen Unterscheidungen nahmen die Gedanken der Menschen gefangen und lenkten von wichtigen Wahrheiten ab. Die bedeutenderen Inhalte des mosaischen Gesetzes – Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Ehrlichkeit – wurden jedoch missachtet. Darum sagte Jesus: »Diese Forderungen solltet ihr erfüllen und das andere nicht außer Acht lassen.« (Matthäus 23,23b NGÜ) Andere Gesetze waren von den Rabbinern auf ähnliche Weise verdreht worden. In den durch Mose gegebenen Anweisungen war es verboten, etwas Unreines zu essen. Der Genuss von Schweinefleisch und dem Fleisch bestimmter anderer Tiere war untersagt, weil dadurch das Blut verunreinigt und das Leben verkürzt werden kann. Die Pharisäer jedoch beließen diese Einschränkungen nicht, wie Gott sie angeordnet hatte, sondern trieben es eigenmächtig bis zum Extrem. Unter anderem wurden die Leute aufgefordert, alles Wasser vor dem Gebrauch zu sieben, damit auch nicht ein kleinstes Insekt, das zu den unreinen Tieren zählen könnte, darin verbliebe. Jesus verglich diese belanglosen Forderungen der Pharisäer mit dem Ausmaß ihrer wirklichen Sünden und sagte zu ihnen: »Ihr wollt die Menschen führen und seid selbst blind. Die winzigste Mücke fischt ihr aus dem Becher, aber Kamele schluckt ihr unbesehen hinunter.« (Matthäus 23,24 GNB)

»Weh euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr seid wie die Gräber, die außen weiß angestrichen sind und schön aussehen; innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und Verwesung!« (Matthäus 23,27 EÜ) Wie die weiß übertünchten und schön geschmückten Gräber die verwesenden Überreste bedeckten, so lag hinter der äußerlichen Heiligkeit der Priester und Obersten ihre Bosheit verborgen. Jesus fuhr fort: »Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Propheten Grabmäler baut und die Gräber der Gerechten schmückt und sprecht: Hätten wir zu Zeiten unserer Väter gelebt, so wären wir nicht mit ihnen schuldig geworden am Blut der Propheten! Damit bezeugt ihr von euch selbst, dass ihr Kinder derer seid, welche die Propheten getötet haben.« (Matthäus 23,29-31) Um ihre Wertschätzung den verstorbenen Propheten gegenüber zum Ausdruck zu bringen, waren die Juden eifrig darum bemüht, deren Gräber zu verschönern. Doch sie beherzigten weder deren Lehren, noch beachteten sie deren Zurechtweisungen. In der damaligen Zeit pflegte man die Grabstätten mit abergläubischer Hochachtung und gab große Geldsummen aus, um sie zu schmücken. In Gottes Augen war das Götzendienst. Mit ihrer übertriebenen Verehrung der Verstorbenen zeigten die Menschen, dass sie weder Gott über alles liebten noch ihren Nächsten wie sich selbst. Auch heute findet dieselbe Totenverehrung in großem Ausmaß statt. Viele machen sich dadurch schuldig, dass sie Witwen und Waisen, Kranke und Arme vernachlässigen, um den Toten kostbare Grabsteine errichten zu können. Zeit, Geld und Arbeit werden hierfür bereitwillig aufgewendet, während die Verpflichtungen gegenüber den Lebenden versäumt werden, obgleich sie Christus deutlich angeordnet hat. Die Pharisäer errichteten die Grabstätten der Propheten, schmückten sie und sagten zueinander: Wenn wir in den Tagen unserer Väter gelebt hätten, hätten wir nicht mit ihnen gemeinsam das Blut der Diener Gottes vergossen. Doch gleichzeitig schmiedeten sie Pläne, um den Sohn Gottes zu töten. Das sollte auch uns eine Lehre sein. Es sollte unsere Augen öffnen, damit wir erkennen, mit welcher Macht Satan den Verstand jener täuschen kann, die sich von dem Licht der Wahrheit abwenden. Viele beschreiten dieselben Wege wie die Pharisäer. Sie verehren die, die für ihren Glauben gestorben sind. Sie wundern sich über die Blindheit der Juden, Christus zu verwerfen, und erklären: Hätten wir zu seiner Zeit gelebt, würden wir seine Lehren mit Freuden angenommen haben. Wir wären niemals mit denen schuldig geworden, die ihn ablehnten. Wenn aber der Gehorsam zu Gott Demütigung und Selbstverleugnung erfordert, sind es gerade diese Menschen, die ihre Überzeugungen verleugnen und den Gehorsam verweigern. Dadurch offenbaren sie denselben Geist wie einst die Pharisäer, die Christus verurteilten. Wie wenig erkannten die jüdischen Obersten, welch schreckliche Verantwortung sie mit der Ablehnung von Jesus auf sich nahmen! Seit der Zeit, als erstmals unschuldiges Blut vergossen wurde, als der gerechte Abel durch die Hand Kains fiel, wiederholte sich dasselbe Geschehen immer wieder mit zunehmender Schuld. Zu jeder Zeit hatten Propheten ihre Stimme gegen die Sünden der Könige, der Herrscher und des Volkes erhoben. Sie gaben weiter, was ihnen Gott aufgetragen hatte, und gehorchten seinem Willen auf die Gefahr hin, ihr Leben zu verlieren. Von Generation zu Generation hatte sich ein schreckliches Strafmaß über jene angehäuft, die das Licht und die Wahrheit verwarfen. Diese Strafe brachten nun die Feinde von Christus über sich selbst. Die Sünde der Priester und Obersten war größer als die irgendeiner früheren Generation, denn mit der Verwerfung des Erlösers machten sie sich selbst für das Blut aller erschlagenen Gerechten von Abel bis Christus verantwortlich. Sie waren im Begriff, den Kelch ihrer Missetaten zum Überlaufen zu bringen. Schon bald sollte dieser in vergeltender Gerechtigkeit über ihrem Haupt ausgegossen werden. Davor warnte sie Jesus: »Deshalb werdet ihr schuldig gesprochen werden für die Ermordung aller gottesfürchtigen Menschen, angefangen mit dem gerechten Abel, bis zu Secharja … den ihr im Tempel zwischen Altar und Heiligtum ermordet habt. Ich versichere euch: Die Strafe für all das wird über diese Generation hereinbrechen.« (Matthäus 23,35.36 NLB) Die Schriftgelehrten und Pharisäer, die Jesus zuhörten, wussten, dass er die Wahrheit sagte. Sie wussten, wie der Prophet Secharja getötet worden war. Während die warnenden Worte von Gott über seine Lippen kamen, wurde der abtrünnige König von satanischer Wut ergriffen, und auf seinen Befehl hin töteten sie den Propheten (vgl. 2. Chronik 24,20.21). Sein Blut hatte unauslöschliche Spuren auf den Steinen des Tempelhofs hinterlassen und zeugte gegen das abgefallene Israel. Solange der Tempel bestand, würden die Blutspuren dieses Gerechten zu Gott um Vergeltung schreien. Als Jesus auf diese furchtbaren Sünden hinwies, erschauderte die Menge vor Entsetzen. Indem Jesus vorausschaute, erklärte er, dass die Juden auch weiterhin unbußfertig und intolerant gegenüber Gottes Dienern sein würden wie in der Vergangenheit. Er sagte zu ihnen: »Hört gut zu! Ich werde euch Propheten, weise Männer und echte Gesetzeslehrer schicken. Ihr werdet einige von ihnen töten, andere ans Kreuz bringen, wieder andere in euren Synagogen auspeitschen und von Stadt zu Stadt verfolgen.« (Matthäus 23,34 GNB) Propheten und weise Männer, voller Glauben und erfüllt mit dem Heiligen Geist wie Stephanus, Jakobus und viele andere, würden verurteilt und getötet werden. Mit zum Himmel erhobener Hand und von einem göttlichen Licht umgeben, sprach Christus als Richter zu jenen, die vor ihm standen. Die Stimme, die so oft gütig und bittend geklungen hatte, sprach jetzt tadelnd und verurteilend, sodass die Zuhörer erschauderten. Niemals sollte der Eindruck seiner Worte und seines Blickes wieder ausgelöscht werden! Die Entrüstung des Erlösers richtete sich gegen die Heuchelei, gegen die schwerwiegenden Sünden, mit denen die Menschen ihr eigenes Leben zerstörten, das Volk verführten und Gott entehrten. In der trügerischen und irreführenden Beweisführung der Priester und Obersten erkannte er das Wirken satanischer Kräfte. Scharfsinnig und eindringlich prangerte er die Sünde an, doch ohne ein Wort der Vergeltung. Er war mit heiligem Zorn gegen den Fürsten der Finsternis erfüllt, zeigte jedoch keine gereizte Stimmung. So wird auch der Christ, der in Einklang mit Gott lebt sowie Liebe und Barmherzigkeit besitzt, eine gerechte Entrüstung gegen die Sünde empfinden. Er wird sich aber nicht im Zorn dazu hinreißen lassen, jene zu verunglimpfen, die ihn beleidigen. Selbst wenn er Menschen begegnet, die von einer satanischen Macht zur Falschheit gedrängt werden, wird er durch Christus Ruhe und Selbstbeherrschung bewahren.

Ein Ausdruck von göttlichem Mitleid lag auf dem Angesicht des Sohnes Gottes, als er noch einmal seinen Blick auf dem Tempel und dann auf seinen Zuhörern verweilen ließ. Mit einer von Seelenqualen und bitteren Tränen erstickten Stimme rief er aus: »Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!« (Matthäus 23,37) Dies ist der Trennungskampf. In der Klage des Erlösers schüttet Gott sein eigenes Herz aus! Es ist der geheimnisvolle Abschied der langmütigen Liebe der Gottheit. Die Pharisäer und Sadduzäer waren zum Schweigen gebracht. Jesus rief seine Jünger herbei und machte sich auf, den Tempel zu verlassen. Er ging nicht als Besiegter oder als ein durch die Gegenwart seiner Feinde Bezwungener weg, sondern als einer, dessen Werk vollendet war. Er zog sich als Sieger aus dem Kampf zurück. Viele Menschen bewahrten die Perlen der Wahrheit, die an jenem ereignisreichen Tag über die Lippen von Christus kamen, in ihren Herzen. Neue Gedanken erfüllten ihr Leben, neue Hoffnungen keimten in ihnen auf, und eine neue Geschichte begann. Diese Menschen traten nach der Kreuzigung und Auferstehung von Christus offen hervor und erfüllten ihren göttlichen Auftrag mit einer Weisheit und einem Eifer, die der Größe dieser Aufgabe entsprachen. Sie verkündeten eine Botschaft, die an die Herzen der Menschen appellierte und den Aberglauben schwächte, der das Leben Tausender so lange hatte verkümmern lassen. Durch ihr Zeugnis wurden die menschlichen Theorien und Philosophien zu nutzlosen Fabeln. Machtvoll wirkten die Worte des Erlösers, die er an jene verwunderte und erschütterte Menge im Tempel von Jerusalem gerichtet hatte. Doch Israel als Nation hatte sich von Gott getrennt. Die natürlichen Zweige des Ölbaums waren abgebrochen (vgl. Römer 11,11.17-20). Indem er einen letzten Blick in das Innere des Tempels warf, sagte Jesus mit bewegter Stimme: »Seht, euer Haus wird verlassen sein und verwüstet daliegen. Denn ich sage euch: Von jetzt an werdet ihr mich nicht mehr sehen, bis ihr ruft: Gesegnet sei er, der im Namen des Herrn kommt!« (Matthäus 23,38.39 NGÜ) Bis dahin hatte er den Tempel als das Haus seines Vaters bezeichnet. Doch jetzt, da er als Sohn Gottes diese Mauern verließ, zog sich Gottes Gegenwart für immer von dem zu seiner Herrlichkeit erbauten Tempel zurück. Künftig würden seine Zeremonien bedeutungslos und seine Gottesdienste ein Hohn sein.

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