Heilung eines Blindgeborenen
Johannes 9,1-41
»Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm … Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.« (Johannes 9,1-3.6.7) Unter den Juden glaubte man ganz allgemein, die Sünde werde bereits zu Lebzeiten bestraft. Darum wurde jede Krankheit als Strafe für ein Fehlverhalten angesehen, das der Leidende selbst oder aber seine Eltern begangen haben mussten. Es ist wahr, dass alles Leid eine Folge der Übertretung des göttlichen Gesetzes ist, doch diese Wahrheit wurde verdreht. Satan, der Urheber der Sünde und all ihrer Folgen, hatte die Menschen dazu gebracht, Krankheit und Tod als von Gott ausgehend anzusehen, die willkürlich über den Sünder verhängt wird. Wer also von einer schweren Krankheit oder einem Schicksalsschlag heimgesucht wurde, stand zusätzlich unter der Belastung, als großer Sünder angesehen zu werden. Dadurch war der Weg für die Juden vorbereitet, Jesus zu verwerfen. Von ihm heißt es: »Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.« Doch gerade deshalb hielten ihn die Juden »für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre«, und sie verbargen ihr »Angesicht vor ihm« (Jesaja 53,4.3b). Um dies zu verhindern, hatte Gott bereits eine Unterweisung gegeben. Die Geschichte Hiobs hatte gezeigt, dass es Satan ist, der Leid zufügt. Gottes Absicht aber ist es, dies durch seine Gnade wieder aufzuheben. Doch Israel verstand diese Lehre nicht. Indem sie Christus verwarfen, begingen sie denselben Fehler wie Hiobs Freunde, die Gott deswegen tadelte (vgl. Hiob 42,7). Auch die Jünger teilten den Glauben des jüdischen Volkes über die Beziehung von Sünde und Leid. Als Jesus ihre falsche Sichtweise berichtigte, gab er ihnen jedoch keinen Grund an, weshalb der Mann krank geworden war, sondern verwies sie auf die Folgen: Es sollten daran »die Werke Gottes offenbar werden« (Johannes 9,3b). Jesus sagte: »Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.« (Johannes 9,5) Nachdem er den Brei auf die Augen des Blinden gestrichen hatte, schickte er ihn zum Teich Siloah, um sich dort zu waschen. Nun konnte der Blinde wieder sehen. Damit beantwortete Jesus die Frage der Jünger auf ganz praktische Art und Weise, wie er es bei den meisten Fragen tat, die aus reiner Neugier gestellt wurden. Es war nicht die Aufgabe der Jünger, darüber zu befinden, wer gesündigt hatte und wer nicht. Viel wichtiger war es, in der Heilung des Blinden Gottes Macht und Barmherzigkeit zu erkennen. Es war offensichtlich, dass weder der Lehmbrei noch das Wasser, mit dem sich der Blinde waschen musste, eine heilende Wirkung besaß. Es war allein die Macht von Christus. Die Pharisäer konnten über die Heilung nur staunen. Weil er das Wunder an einem Sabbat vollbracht hatte, wurden sie mit Hass erfüllt wie nie zuvor. Die Nachbarn des jungen Mannes und jene, die ihn vorher gekannt hatten, als er noch blind war, sagten: »Ist das nicht der Mann, der da saß und bettelte?« (Johannes 9,8) Misstrauisch schauten sie ihn an, denn seit er sehen konnte, hatte sich sein Angesicht verändert. Nun strahlte er und schien ein anderer Mensch zu sein. Fragend schauten sich die Leute an. Einige meinten: »Er ist es«, andere wieder: »Nein, aber er ist ihm ähnlich.« Doch er, der so reich gesegnet worden war, antwortete und sagte: »Ich bin‘s.« (Johannes 9,9) Dann erzählte er ihnen von Jesus und mit welchen Mitteln er geheilt worden war. Daraufhin fragten sie: »Wo ist er? Er antwortete: Ich weiß es nicht.« (Johannes 9,12) Schließlich brachten sie den Mann vor einen Rat der Pharisäer. Erneut fragten sie ihn, wie er denn sehend geworden sei. Er erwiderte: »Einen Brei legte er mir auf die Augen, und ich wusch mich und bin nun sehend.« Da behaupteten einige Pharisäer: »Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält.« (Johannes 9,15.16a) Die Pharisäer hofften, Jesus als Sünder und somit als falschen Messias hinzustellen. Sie wussten nicht, dass er, der den blinden Mann heil gemacht hatte, auch der Schöpfer des Sabbats war und alle damit verbundenen Verpflichtungen kannte. Es schien, als würden sie sich eifrig um die Einhaltung des Sabbats bemühen, aber ausgerechnet an diesem Tag planten sie einen Mord. Viele waren tief berührt, als sie von diesem Wunder erfuhren. Sie waren überzeugt, dass der Mann, der dem Blinden die Augen geöffnet hatte, mehr war als ein gewöhnlicher Mensch. Auf den Vorwurf, dass Jesus ein Sünder sei, weil er den Sabbat nicht halte, entgegneten sie: »Wie kann ein Mensch, der sündigt, solche Wunder tun?« (Johannes 9,16b NGÜ)
Die Rabbiner wandten sich erneut an den Blinden: »Dieser Mann, der dir die Augen geöffnet hat – was meinst du, wer er ist?« Der Mann erwiderte: »Er muss ein Prophet sein.« (Johannes 9,17b NLB) Die Pharisäer behaupteten daraufhin, er sei gar nicht blind geboren worden und habe kein neues Augenlicht erhalten. Sie ließen seine Eltern kommen und fragten: »Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, er sei blind geboren?« (Johannes 9,19a) Nun stand der Mann persönlich da und beteuerte, dass er blind gewesen und dann geheilt worden sei. Die Pharisäer jedoch wollten lieber ihre Augen vor den Tatsachen verschließen, als ihre Fehler zuzugeben. So stark sind Vorurteile und so entstellend ist pharisäische Gerechtigkeit. Nun blieb den Pharisäern nur noch die Möglichkeit, die Eltern dieses Mannes einzuschüchtern. Scheinbar aufrichtig fragten sie: »Wieso ist er nun sehend?« (Johannes 9,19b) Die Eltern befürchteten, sie könnten sich selbst gefährden, denn es war beschlossen worden, »jeden aus der Synagoge auszuschließen, der sich zu Jesus als dem Messias bekannte« (Johannes 9,22b NGÜ). 30 Tage lang wurde der Schuldige aus der Gemeinschaft der Synagoge ausgeschlossen. Während dieser Zeit konnte in seinem Haus kein Kind beschnitten und keine Totenklage gehalten werden. Diese Strafe wurde als großes Unglück angesehen. Wer nicht bereute, musste mit weit härteren Maßnahmen rechnen. Das große Wunder, das an ihrem Sohn vollbracht worden war, hatte die Eltern überzeugt. Dennoch antworteten sie: »Wir wissen, dass dies unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde, aber wir wissen nicht, warum er jetzt sehen kann oder wer ihn geheilt hat. Er ist alt genug, um für sich selbst zu sprechen. Fragt ihn doch selbst.« (Johannes 9,20.21 NLB) Dadurch schoben sie die ganze Verantwortung von sich weg auf ihren Sohn, weil sie nicht wagten, sich zu Christus zu bekennen. Das Dilemma, in dem sich die Pharisäer befanden, ihre Fragen und Vorurteile sowie ihr Unglaube den Tatsachen gegenüber, öffneten der Menge, besonders aber den einfachen Leuten, die Augen. Jesus hatte seine Wunder häufig auf offener Straße gewirkt und dabei stets Leiden gelindert. Weil die Pharisäer behaupteten, Jesus sei ein Hochstapler, fragten sich viele, ob Gott solch mächtige Wunder durch einen Betrüger wirken würde. So spitzte sich der Kampf auf beiden Seiten zu. Die Pharisäer merkten, dass sie durch ihr Verhalten die Aufmerksamkeit des Volkes auf Jesus und seine Taten lenkten. Sie konnten das Wunder nicht leugnen. Der Blinde war mit Freude und Dankbarkeit erfüllt. Er betrachtete die erstaunlichen Dinge der Natur und war von der Schönheit des Himmels und der Erde begeistert. Ganz offen erzählte er seine Erfahrung, aber die Pharisäer versuchten erneut, ihn zum Schweigen zu bringen. Sie sagten zu ihm: »Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist.« (Johannes 9,24) Das sollte heißen: Behaupte nicht noch einmal, dass dir dieser Mann das Augenlicht geschenkt habe; es war Gott, der das gemacht hat. Der Blinde antwortete: »Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht; eins weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehe.« (Johannes 9,25 Elb.) Darauf fragten sie ihn erneut: »Was hat er mit dir getan? Wie hat er deine Augen aufgetan?« (Johannes 9,26) Mit ihren vielen Worten versuchten sie ihn so zu verwirren, dass er meinen sollte, er habe sich getäuscht. Satan und seine bösen Engel standen den Pharisäern zur Seite. Sie vereinten ihre Kräfte und ihren Scharfsinn mit der menschlichen Beweisführung, um dem Einfluss von Christus entgegenzuwirken. Dadurch wurde die Überzeugung, die schon bei vielen Menschen Eingang gefunden hatte, abgeschwächt. Doch auch die Engel Gottes waren anwesend, um den Mann zu stärken, der sein Augenlicht wieder erhalten hatte. Die Pharisäer merkten nicht, dass sie es auch mit jemand anderem zu tun hatten als nur mit dem ungebildeten Blindgeborenen. Sie erkannten den nicht, gegen den sie kämpften. Göttliches Licht erhellte das Herz des ehemals Blinden. Als diese Heuchler versuchten, ihm den Glauben zu nehmen, half ihm Gott mit klugen und treffenden Antworten, sodass sie ihn nicht verführen konnten. »Das habe ich euch doch bereits erzählt! … Habt ihr denn nicht zugehört? Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt ihr auch seine Jünger werden?« Da beschimpften sie ihn und sagten: »Du bist sein Jünger, wir aber sind Jünger Moses. Wir wissen, dass Gott zu Mose gesprochen hat, doch von diesem Mann wissen wir nicht einmal, woher er ist.« (Johannes 9,27-29 NLB) Der Herr Jesus wusste, durch welche Prüfung der Mann gerade ging, und schenkte ihm die nötige Freundlichkeit und die richtigen Worte, sodass er ein Zeuge für Christus wurde. In seiner Antwort an die Pharisäer lag ein scharfer Tadel. Sie behaupteten, Ausleger der Heiligen Schrift und die religiösen Führer der Nation zu sein. Doch als der Eine aufstand und Wunder vollbrachte, mussten sie sich eingestehen, dass sie weder wussten, woher seine Kraft kam, noch worin sein Wesen und seine Ansprüche bestanden. Der Blindgeborene antwortete: »Das ist wirklich seltsam! Ihr wisst nicht, woher er kommt, und mich hat er sehend gemacht! Wir wissen doch alle, dass Gott das Gebet von Sündern nicht hört. Er hört nur auf die, die ihn ehren und seinen Willen befolgen. Seit die Welt besteht, hat noch niemand von einem Menschen berichtet, der einen Blindgeborenen sehend gemacht hat. Käme dieser Mann nicht von Gott, so wäre er dazu nicht fähig gewesen.« (Johannes 9,30-33 GNB) Der Mann hatte seine Befrager mit ihren eigenen Waffen geschlagen. Seine Beweisführung war unwiderlegbar. Die Pharisäer waren erstaunt und verstummten. Seine treffenden und entschlossenen Worte machten sie sprachlos. Für einige Zeit herrschte Ruhe. Dann aber rafften die Priester und Rabbiner – stirnrunzelnd, als fürchteten sie, durch eine Berührung mit ihm verunreinigt zu werden – ihre Gewänder zusammen, schüttelten den Staub von ihren Füßen und schleuderten ihm die erniedrigenden Worte entgegen: »Du bist ganz in Sünden geboren und willst uns belehren? Und sie warfen ihn aus der Synagoge.« (Johannes 9,34 NLB)
Jesus hörte, was geschehen war. Als er den Mann kurz danach fand, fragte er ihn: »Glaubst du an den Sohn Gottes?« (Johannes 9,35b Schl.) Zum ersten Mal blickte der Geheilte in das Gesicht dessen, der ihn sehend gemacht hatte. Vor dem Rat hatte er seine besorgten und verunsicherten Eltern gesehen. Er hatte auch in die finsteren Gesichter der Rabbiner geschaut. Jetzt aber ruhte sein Blick auf dem liebevollen und gütigen Antlitz von Jesus. Dass er ihn als Gesandten Gottes gewürdigt hatte, kam ihn bereits teuer zu stehen. Doch nun wurde ihm eine noch größere Offenbarung zuteil. Als ihn Jesus fragte: »Glaubst du an den Sohn Gottes?«, antwortete der Blindgeborne fragend: »Wer ist es, Herr, damit ich an ihn glaube?« Jesus erwiderte: »Du hast ihn gesehen, und der mit dir redet, der ist es!« (Johannes 9,35b-37 Schl.) Da warf sich der Mann zu den Füßen von Jesus und betete ihn an. Nicht nur sein natürliches Sehvermögen war wiederhergestellt worden, er verstand jetzt auch geistliche Dinge. Christus hatte sich ihm offenbart, und der Mann nahm ihn als den Gesandten Gottes an. Eine Gruppe von Pharisäern hatte sich in der Nähe versammelt. Als Jesus sie erblickte, wurde ihm wie nie zuvor bewusst, wie gegensätzlich die Reaktionen auf seine Worte und Taten waren. Er sagte zu ihnen: »Zum Gericht bin ich in die Welt gekommen. Ich bin gekommen, die Blinden sehend zu machen, und denen, die sich für sehend halten, zeige ich, dass sie blind sind.« (Johannes 9,39 NLB) Christus war gekommen, um den Blinden die Augen zu öffnen und denen Licht zu bringen, die im Dunkeln saßen. Er hatte sich selbst als das Licht der Welt bezeichnet, und das Wunder, das er soeben gewirkt hatte, bestätigte diese Sendung. Die Menschen, die das Kommen des Erlösers miterlebten, hatten den Vorteil, dass sie die klarste Offenbarung der Gegenwart Gottes erhielten, derer sich die Welt jemals erfreut hatte. Ihnen wurde eine viel umfassendere Gotteserkenntnis zuteil. Doch gerade diese Offenbarung brachte das Gericht über die Menschen. Ihr Charakter wurde geprüft und ihr Schicksal entschieden. Die Offenbarung der göttlichen Kraft, die dem Blinden das natürliche Augenlicht und den geistlichen Blick geöffnet hatte, ließ die Pharisäer in noch tieferer Finsternis zurück. Einige seiner Zuhörer, die spürten, dass die Worte von Jesus ihnen galten, fragten: »Willst du damit sagen, dass etwa auch wir blind sind?« (Johannes 9,40 NLB) Jesus antwortete ihnen: »Wenn ihr blind wäret, hättet ihr keine Schuld.« (Johannes 9,41a NGÜ.) Hätte Gott es euch unmöglich gemacht, die Wahrheit zu erkennen, würde eure Unkenntnis keine Schuld bedeuten. Jesus fuhr fort: »Doch ihr sagt: ›Wir können sehen.‹« (Johannes 9,41a NGÜ) Ihr meint, sehen zu können, und lehnt das einzige Mittel ab, das euch den Blick öffnen könnte. Allen, die sich ihres Bedürfnisses bewusst wurden, brachte Christus grenzenlose Hilfe. Die Pharisäer jedoch wollten ihr Bedürfnis nicht eingestehen. Sie weigerten sich, zu Christus zu kommen, und blieben deshalb blind. An dieser Blindheit waren sie selbst schuld. Jesus fügte hinzu: »Darum bleibt eure Schuld bestehen.« (Johannes 9,41b NGÜ)