Der Weinstock und die Reben

Der Weinstock und die Reben

Johannes 15,1-8

Jesus und seine Jünger befanden sich auf dem Weg nach Gethsemane, am Fuß des Ölbergs, an einen abgelegenen Platz, den er oft aufgesucht hatte, um zu beten und nachzudenken. Der Erlöser hatte seinen Jüngern immer wieder seinen Auftrag für die Welt erklärt und über die geistliche Beziehung gesprochen, die sie zu ihm aufrechterhalten sollten. Nun wollte er die Lehre bildlich darstellen. Der Mond schien hell und leuchtete auf einen blühenden Weinstock. Jesus lenkte die Aufmerksamkeit der Jünger auf dieses Gewächs und benutzte es als Sinnbild. »Ich bin der wahre Weinstock« (Johannes 15,1a), sagte er. Statt einer anmutigen Palme, einer stattlichen Zeder oder einer starken Eiche wählte Jesus den Rebstock mit seinen sich festklammernden Ranken, um sich selbst zu beschreiben. Palmen, Zedern und Eichen stehen allein und brauchen keine Stütze. Der Wein aber umrankt den Zaun und klettert himmelwärts. So war Christus als Mensch von Gottes Kraft abhängig. »Ich kann nichts von mir aus tun« (Johannes 5,30a), erklärte er. »Ich bin der wahre Weinstock.« Die Juden hatten den Weinstock stets als die edelste Pflanze angesehen und ihn als Sinnbild für alles genommen, was stark, herrlich und fruchtbar war. Israel war selbst mit einem Weinstock, den Gott im Gelobten Land gepflanzt hatte, verglichen worden. Die Juden gründeten die Hoffnung auf ihr Heil auf ihre Verbundenheit mit Israel. Doch Jesus sagte: »Ich bin der wahre Weinstock.« Denkt nicht, dass ihr durch eine Verbindung zu Israel Teilhaber am göttlichen Leben und Erben seiner Verheißungen werden könnt. Allein durch mich empfangt ihr geistliches Leben. »Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner.« (Johannes 15,1 NLB) Unser himmlischer Vater hatte diesen stattlichen Weinstock auf den Hügeln Palästinas gepflanzt. Er selbst war der Weingärtner. Viele waren von der Schönheit dieses Stocks angezogen worden und hatten seinen himmlischen Ursprung bezeugt. Doch für die Führer Israels sah er aus wie eine »Wurzel aus dürrem Erdreich« (Jesaja 53,2b). Sie nahmen den Weinstock, verunstalteten ihn und zertraten ihn mit ihren unheiligen Füßen. Sie gedachten, ihn für immer zu vernichten. Doch der himmlische Weingärtner ließ seinen Weinstock nie aus den Augen. Als die Menschen dachten, ihn vernichtet zu haben, nahm er ihn und pflanzte ihn erneut auf der anderen Seite der Mauer. Der Weinstock sollte nicht länger zu sehen sein und blieb verborgen, geschützt vor den groben Übergriffen der Menschen. Aber seine Reben hingen über die Mauer und wiesen wiederum auf den Weinstock hin. Durch sie konnten immer noch Sprösslinge mit dem Weinstock verbunden werden. Auch sie brachten Frucht, welche von den Vorübergehenden gepflückt wurde. »Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben« (Johannes 15,5a), sagte Christus zu seinen Jüngern. Obwohl er bald von ihnen genommen werden würde, sollte ihre geistliche Verbindung zu ihm unverändert bleiben. Die Verbindung einer Rebe mit dem Weinstock, so sagte er, veranschauliche die Beziehung, die sie zu ihm aufrechterhalten sollten. Der junge Trieb wird in den lebendigen Weinstock eingepfropft. Auf diese Weise verwachsen Faser um Faser und Ader um Ader mit dem Weinstock. Das Leben des Weinstocks wird zum Leben der Rebe. So erhält der Mensch, der wegen seiner Übertretungen und Sünden geistlich tot ist (vgl. Epheser 2,1), neues Leben durch die Verbindung mit Christus, die durch den Glauben an ihn als den persönlichen Erlöser hergestellt wird. Der Sünder vereint seine Schwachheit mit der Stärke von Christus, seine Leere mit dessen Fülle und seine Gebrechlichkeit mit dessen ewig währender Kraft. Dann besitzt er die Gesinnung von Jesus. Die menschliche Natur von Christus hat unsere Menschlichkeit berührt, und unsere menschliche Natur hat die Göttlichkeit berührt. So wird der Mensch durch das Wirken des Heiligen Geistes »Teilhaber der göttlichen Natur« und ist »begnadigt … in dem Geliebten« (2. Petrus 1,4; Epheser 1,6b Elb.).

Ist diese Verbindung mit Christus einmal hergestellt, muss sie aufrechterhalten werden. Der Herr sagte: »Bleibt in mir, und ich werde in euch bleiben. Denn eine Rebe kann keine Frucht tragen, wenn sie vom Weinstock abgetrennt wird, und auch ihr könnt nicht, wenn ihr von mir getrennt seid, Frucht hervorbringen.« (Johannes 15,4 NLB) Dies ist keine zufällige Berührung und keine gelegentliche Beziehung. Die Rebe wird ein fester Teil des lebendigen Weinstocks. Die Wurzel führt der Rebe ungehindert und beständig Leben, Kraft und Fruchtbarkeit zu. Getrennt vom Weinstock kann die Rebe nicht leben. Auch ihr könnt nicht länger ohne mich leben, sagte Jesus zu seinen Nachfolgern. Das Leben, das ihr von mir empfangen habt, kann nur durch eine ständige Verbundenheit bewahrt bleiben. Ohne mich könnt ihr keine einzige Sünde überwinden und auch nicht einer Versuchung widerstehen. »Bleibt in mir, und ich werde in euch bleiben.« (Johannes 15,4a NLB) In Christus zu bleiben bedeutet ein fortwährendes Empfangen seines Geistes und ein Leben vorbehaltloser Hingabe an seinen Dienst. Der Kommunikationsweg zwischen dem Menschen und seinem Gott muss immer frei bleiben. Wie die Rebe unaufhörlich den Saft aus dem lebenden Weinstock zieht, so sollen wir uns an Jesus festhalten und durch den Glauben von ihm die Stärke und Vollkommenheit seines eigenen Charakters empfangen. Die Wurzel befördert ihre Nährstoffe durch den Ast bis hin zum äußersten Zweig. So lässt Christus jedem Gläubigen beständig seine geistliche Kraft zufließen. Solange der Mensch mit Christus verbunden ist, besteht keine Gefahr, dass er verkümmert oder zugrunde geht. Das Leben des Weinstocks wird sich deutlich an den herrlichen Früchten zeigen, die an seinen Zweigen hängen. Jesus sagte: »Wer in mir bleibt und ich in ihm, wird viel Frucht bringen. Denn getrennt von mir könnt ihr nichts tun.« (Johannes 15,5b NLB) Leben wir im Glauben an den Sohn Gottes, werden die Früchte des Geistes an uns sichtbar sein. Keine einzige davon wird fehlen. »Mein Vater ist der Weinbauer. Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt.« (Johannes 15,1b.2a GNB) Eine Rebe mag äußerlich mit dem Weinstock verbunden sein und dennoch keine lebendige Verbindung haben. Dann wird es weder Wachstum noch Frucht geben. So kann es auch eine scheinbare Verbindung zu Christus geben, ohne durch den Glauben wirklich mit ihm eins zu sein. Ein Glaubensbekenntnis macht die Menschen wohl zu Mitgliedern einer Kirche, aber erst der Charakter und die Verhaltensweise zeigen, ob sie wirklich mit Christus verbunden sind. Bringen sie keine Frucht, sind sie unechte Reben. Durch ihre Trennung von Christus werden sie so vollständig verderben, wie es anhand der verdorrten Rebe aufgezeigt wurde. »Wer nicht in mir bleibt, wird fortgeworfen wie eine nutzlose Rebe und verdorrt. Solche Reben werden auf einen Haufen geworfen und verbrannt.« (Johannes 15,6 NLB) »Eine Rebe aber, die Frucht trägt, schneidet er zurück; so reinigt er sie, damit sie noch mehr Frucht hervorbringt.« (Johannes 15,2b NGÜ) Von den auserwählten Zwölf, die Jesus nachfolgten, gab es einen, der kurz davor stand, einer verdorrten Rebe gleich abgeschnitten zu werden. Die Übrigen sollten unter das Winzermesser härtester Prüfungen kommen. Liebevoll und ernstlich erklärte Jesus die Absicht des Weingärtners. Das Beschneiden verursacht Schmerzen, aber es ist der Vater, der das Messer führt. Er arbeitet nicht mit liederlicher Hand oder gleichgültigem Herzen. Manche Zweige ranken auf dem Boden. Sie müssen von irdischen Stützen, die ihre Ranken umklammern, losgelöst werden, sich dem Himmel entgegenstrecken und ihren Halt bei Gott finden. Die überschüssigen Blätter, die der Frucht die Lebenskraft entziehen, müssen entfernt und nutzlose Triebe herausgeschnitten werden, damit die heilenden Strahlen der Sonne der Gerechtigkeit eindringen können. Der Weingärtner schneidet den schädlichen Wuchs ab, damit die Früchte schöner und voller gedeihen können. »Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt.« (Johannes 15,8a) Gott möchte die Heiligkeit, die Güte und das Mitgefühl seines eigenen Charakters durch uns offenbaren. Doch der Erlöser gebot den Jüngern nicht, sich abzumühen, um Frucht zu bringen. Er sagte ihnen nur: Bleibt in mir. »Wenn ihr mit mir verbunden bleibt und meine Worte in euch bleiben, könnt ihr bitten, um was ihr wollt, und es wird euch gewährt werden!« (Johannes 15,7) Durch das Wort bleibt Christus in seinen Nachfolgern. Dies ist dieselbe lebendige Verbindung, die durch das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes zum Ausdruck kommt (vgl. Johannes 6,53-56). Die Worte von Christus sind Geist und Leben. Wer sie aufnimmt, empfängt das Leben des Weinstocks. Wir leben »von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt« (Matthäus 4,4b NGÜ). Das in uns wohnende Leben von Christus erzeugt dieselben Früchte wie in ihm selbst. Wenn wir in Christus leben, uns an ihm festhalten, von ihm gestützt werden und unsere Nahrung von ihm nehmen, bringen wir die gleichartige Frucht wie er hervor.

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