Der barmherzige Samariter

Der barmherzige Samariter

Lukas 10,25-37

Vorgeschichte

Die Frage: „Wer ist denn mein Nächster?“ war bei den Juden ein beliebter Aufhänger für endlose Streitgespräche. Hinsichtlich der Heiden und Samariter gab es keinen Zweifel: Das waren Fremde und Feinde. Wo sollte man aber im eigenen Volk, bei den verschiedenen Gesellschaftsschichten die Trennungslinie ziehen? Wer war für den Priester, die Rabbis und Ältesten der Nächste? Ihr Leben war ausgefüllt mit kultischen Handlungen der Reinigung. Sie vertraten ja die Auffassung, dass der Kontakt mit dem ungebildeten Volk, das es mit Gesetzen nicht so genau nahm, Verunreinigung bedeute, die nur mit großem Aufwand wieder beseitigt werden könne. Sollten etwa solche „Unreinen“ ihre Nächsten sein? Diese Frage beantwortete Jesus mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Er zeigte, dass unser Nächster nicht unbedingt unserer Religionsgemeinschaft angehören muss, dass es auch nicht auf seine Rasse, Hautfarbe oder Gesellschaftsschicht ankommt. Der Nächste ist jeder Mensch, der unsere Hilfe braucht. Wen Satan verwundet und zerschlagen hat, der ist unser Nächster — also jeder, der Gottes Eigentum ist.

Den Anstoß zur Erzählung vom barmherzigen Samariter gab die Frage eines Gesetzeslehrers, die er Christus stellte, als der Heiland lehrte, „da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte ihn und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ Lukas 10,25. Die Pharisäer hatten ihn zu dieser Frage gedrängt, weil sie hofften, Christus mit seinen eigenen Worten fangen zu können. Daher warteten sie gespannt auf seine Antwort. Der Heiland ließ sich aber auf keine Auseinandersetzung ein, sondern stellte dem Mann die Gegenfrage: „Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest du?“ Lukas 10,26. Die Juden beschuldigten Christus noch immer, das Gesetz vom Sinai nicht ernst genug zu nehmen; doch er machte das ewige Leben vom Halten der Gebote abhängig. Der Schriftgelehrte erwiderte: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst … Du hast recht geantwortet“, bestätigte Jesus, „tu das, so wirst du leben.“ Lukas 10,27.28. Den Schriftgelehrten befriedigte der Standpunkt und die Handlungsweise der Pharisäer nicht. Er hatte die Schrift studiert, weil er sie wirklich verstehen wollte. Es war ihm ein aufrichtiges Anliegen, als er fragte: „Was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ In seiner Antwort ging der Gesetzeslehrer bezeichnenderweise überhaupt nicht auf die Masse der zeremoniellen und rituellen Gebote ein, da er ihnen keinen großen Wert beilegte. Stattdessen betonte er die beiden wesentlichen Grundsätze, auf denen das Gesetz und die Aussagen der Propheten beruhen. Weil der Heiland dieser Antwort zustimmte, gewann er an Boden gegenüber den Rabbis, die es ihm ja schwerlich zum Vorwurf machen konnten, wenn er die Aussage eines Schriftgelehrten anerkannte. „Tu das, so wirst du leben“, antwortete Christus. In all seinen Reden stellte er das göttliche Gesetz immer wieder als eine Einheit dar und zeigte, dass man unmöglich ein Gebot halten, das andere aber brechen kann, denn derselbe Grundsatz liegt ja allen zu Grunde. Das Schicksal des Menschen hängt ab von seinem Gehorsam gegenüber dem heiligen Gesetz. Christus wusste, dass niemand das Gesetz aus eigener Kraft halten kann. Er wollte den Schriftgelehrten zu tieferem, kritischerem Forschen anregen, damit er die Wahrheit finden könne. Nur wenn wir die Kraft und Gnade Christi annehmen, sind wir im Stande, die Gebote zu befolgen; nur wenn wir glauben, dass Jesus unsere Sünden gesühnt hat, ist es uns gefallenen Menschen möglich, Gott von ganzem Herzen und unseren Nächsten wie uns selbst zu lieben. Dem Schriftgelehrten war völlig klar, dass er weder die ersten vier noch die übrigen sechs Gebote gehalten hatte. Er fühlte sich durch Christus überführt, doch statt dies zuzugeben, versuchte er sich zu entschuldigen und zu zeigen, wie schwer erfüllbar das Gesetz sei. So wollte er verschleiern, dass er eigentlich überführt war, und sich obendrein in den Augen der Leute rechtfertigen. Obwohl der Heiland ihm bewiesen hatte, wie überflüssig seine Frage in Wirklichkeit war — er hatte sie ja selbst beantworten können —, fragte der Schriftgelehrte daraufhin: „Wer ist denn mein Nächster?“ Lukas 10,29.

Wieder vermied es Christus, sich in ein Streitgespräch hineinziehen zu lassen, und antwortete stattdessen mit der Schilderung eines Ereignisses, das seinen Zuhörern noch gut in Erinnerung war: „Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen.“ Lukas 10,30. Wer von Jerusalem nach Jericho reisen wollte, musste einen Teil der Wüste Judäas durchqueren. Der Weg führte durch eine wilde Felsschlucht, in der Räuber ihr Unwesen trieben und es immer wieder zu Verbrechen kam. Auch der Reisende im Gleichnis wurde hier überfallen, beraubt und dann halb tot am Wegrand liegen gelassen. Kurz danach kam ein Priester vorbei und sah den Verwundeten in seinem Blut liegen, ohne ihm zu helfen. „Als er ihn sah, ging er vorüber.“ Als nächstes erschien ein Levit, der neugierig anhielt und den Verletzten betrachtete. Er wusste genau, was eigentlich seine Pflicht war, aber die Sache war ihm unangenehm, und er wünschte, nie hier vorbeigekommen zu sein. Er sagte sich schließlich, dass er sich am besten aus der Sache heraushalten wollte, und so „ging er vorüber.“ Lukas 10,31.32. Doch ein Samariter, der dieselbe Straße benutzte und ebenfalls den Verletzten sah, tat das, was die anderen unterlassen hatten. Liebevoll kümmerte er sich um den übel zugerichteten Mann. „Und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir‘s bezahlen, wenn ich wiederkomme.“ Lukas 10,33-35. Der Priester und der Levit gaben zwar vor, fromm zu sein, doch der Samariter zeigte, dass er wirklich gläubig war. Ihm fiel es bestimmt nicht leichter als den beiden anderen, dem Verletzten zu helfen, aber er bewies in Gesinnung und Handlungsweise, dass er in Einklang mit Gott lebte.

Mit diesem Gleichnis umriss Christus die Grundsätze des Gesetzes auf eindrucksvolle Weise. Gleichzeitig zeigte er seinen Zuhörern, dass sie nicht wirklich nach diesen Grundsätzen handelten. Das war so deutlich, dass keiner der Anwesenden — auch nicht der Schriftgelehrte — etwas dagegen einwenden oder daran kritisieren konnte. Ja, der Gesetzeslehrer hatte sogar sein Vorurteil gegenüber Christus aufgegeben. Nur sein nationales Vorurteil konnte er nicht ganz verleugnen, als er auf die Frage Christi: „Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?“ den Samariter nicht als solchen bezeichnete, sondern umschreibend antwortete: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen!“ Lukas 10,36.37. Kümmere dich liebevoll um Menschen in Not, dann hältst du das Gesetz wirklich vollständig. Juden und Samariter trennte vor allem die unterschiedliche Auffassung darüber, worin wahrer Gottesdienst bestehe. Die Pharisäer ließen an den Samaritern nichts Gutes, sondern verwünschten sie mit den schlimmsten Flüchen. So ausgeprägt war die Abneigung zwischen beiden Völkern, dass die Samariterin geradezu befremdet war, als Christus sie um einen Schluck Wasser bat. „Wie, du bittest mich um etwas zu trinken“, fragte sie, „der du ein Jude bist und ich eine samaritische Frau?“ Der Evangelist setzt hier erklärend hinzu: „Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den Samaritern.“ Johannes 4,9. Und als die Juden sich im Tempel erhoben, um Christus in ihrem mörderischen Hass zu steinigen, da wussten sie diesen Hass nicht treffender auszudrücken als mit den Worten: „Sagen wir nicht mit Recht, dass du ein Samariter bist und einen bösen Geist hast?“ Johannes 8,48. Dennoch waren es der Pharisäer und der Levit, die sich weigerten, Gottes Gebot der Nächstenliebe zu befolgen. Sie überließen es einem verhassten und verachteten Samariter, für ihren verwundeten Landsmann zu sorgen.

Der Samariter lebte das Gebot aus: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Damit bewies er, dass er gerechter war als alle, die ihn verachteten. Er setzte sein eigenes Leben aufs Spiel und behandelte den Verletzten wie seinen Bruder. Damit ist er ein Symbol für Christus, der uns in wahrhaft übermenschlicher Liebe begegnet ist. Als wir durch die Sünde zerschlagen waren und im Sterben lagen, erbarmte er sich. Er ging nicht an uns vorüber, um uns hilf- und hoffnungslos dem Verderben zu überlassen. Er blieb nicht in seinem heiligen, glücklichen Lebensraum, wo er von der Liebe der himmlischen Heerscharen umgeben war, sondern machte unsere menschliche Sache, unsere Not und Bedürfnisse zu den seinen. Man kann sagen, dass er starb, um seine Feinde zu retten, und er betete für seine Mörder. Seine Nachfolger weist er auf sein eigenes Beispiel hin: „Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.“ Johannes 15,17. „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe.“ Johannes 13,34. Der Priester und der Levit waren im Tempel zum Gottesdienst gewesen, so wie Gott ihn angeordnet hatte. Es war ein ganz großes Vorrecht, daran teilnehmen zu dürfen. Deshalb hielten es die beiden Geistlichen für unter ihrer Würde, einem unbekannten Menschen in Not irgendwo am Straßenrand zu helfen. Sie missachteten die besondere Gelegenheit, die Gott ihnen bot, um einem Mitmenschen zum Segen zu werden.

Auch heute begehen viele einen ähnlichen Fehler. Sie unterscheiden zwei Arten von Pflichten: Die erste umfasst all die großen Dinge, die das Gesetz Gottes fordert; die anderen Pflichten sind die so genannten Kleinigkeiten, bei denen das Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ nicht so wichtig genommen wird. Gutes zu tun macht man von der eigenen Laune abhängig. Das beeinträchtigt aber die charakterliche Entwicklung des Betreffenden und vermittelt anderen Menschen außerdem einen falschen Eindruck vom christlichen Glauben. Manche Leute meinen, es tue ihrer Würde Abbruch, Menschen in Not zu helfen. Viele schauen gleichgültig oder voller Verachtung auf andere, die ihre eigene Seele zerstört haben. Sie übersehen die Bedürftigen und zwar aus ganz unterschiedlichen Beweggründen — auch deswegen, weil sie glauben, für die Sache Christi unerhört wichtige Aufgaben erfüllen zu müssen. Aufgrund dieser hochrangigen Angelegenheiten können sie sich nicht damit aufhalten, die Nöte der Armen und Verzweifelten wahrzunehmen. Es ist sogar möglich, dass sie zugunsten ihres vermeintlich großen Werkes die Armen unterdrücken, in unerträgliche Situationen bringen, ihre Menschenrechte missachten oder ihre grundlegenden Bedürfnisse einfach übersehen. Und dabei glauben sie noch, wenn es der Sache Christi diene, sei ihr Verhalten gerechtfertigt. Viele sehen tatenlos zu, wie ein Verwandter oder Nachbar gegen widrige Umstände ankämpft. Weil sie sich als Christen ausgeben, könnte jener leicht denken, ihr kaltherziger Egoismus sei ein Wesenszug Christi. Weil viele angebliche Kinder Gottes nicht mit ihm zusammenarbeiten, erreicht seine Liebe, die sie weitergeben sollten, zu einem großen Teil die anderen Menschen gar nicht. So kommt es, dass Gott nicht mehr Lob und Dank dargebracht wird. Gott erhält weder den Ruhm, der seinem Namen gebührt, noch die Seelen, für die Christus starb und die er so gern in sein Reich führen möchte, damit sie in seiner Gegenwart ewig leben können. Die göttliche Wahrheit hat nur geringe Auswirkungen auf die Weltereignisse, dabei könnte sie durch uns zu einer großen Macht werden. Es gibt viel Namenschristentum, aber das fällt im Alltag kaum ins Gewicht. Wenn wir Nachfolger Christi sein wollen und angeblich jeder Wahrheit im Wort Gottes zustimmen, so nützt das unserem Nächsten überhaupt nichts, solange unser Glaube sich nicht in der Praxis bewährt. Auch wenn wir uns noch so lautstark zu Gott bekennen, so rettet das weder uns noch unsere Mitmenschen, wenn wir keine echten Christen sind. Ein gutes Beispiel ist viel mehr wert als jedes Lippenbekenntnis. Selbstsüchtiges Handeln kann der Sache Christi niemals dienen; denn er ist auf der Seite der Unterdrückten und Armen. Wie vielen vorgeblichen Nachfolgern Christi fehlt sein liebevolles Einfühlungsvermögen und Liebe zu denen, die er für wertvoll genug hielt, um sein Leben für ihre Rettung zu opfern! Diese Menschen sind viel mehr wert als jede andere Gabe, die wir Gott bringen können. Gott möchte nicht, dass wir alle unsere Kraft auf ein vermeintlich großes Werk verwenden, dabei aber die Menschen in Not übersehen und Ausländer um ihre Rechte betrügen.

Heiligung durch den Geist Gottes bedeutet, dass Christi Wesen in uns sichtbar wird. Das ist die frohe Botschaft: Christus lebt in mir — nicht ich, sondern er prägt mein Leben. Die Gnade Christi formt unser Wesen und zeigt sich in guten Werken. Die Grundsätze des Evangeliums können von keinem Bereich des praktischen Lebens ausgeklammert werden. Christliches Handeln und christliche Erfahrung müssen immer vom Wesen Christi geprägt sein. Liebe ist die Grundlage aller Gemeinschaft mit Gott. Wir lieben Gott nur dann wirklich — allen Lippenbekenntnissen zum Trotz —, wenn wir unserem Bruder selbstlose Liebe entgegenbringen. Aus eigener Kraft schaffen wir das allerdings nicht. Wir brauchen dazu die Liebe Christi im Herzen. Wenn unser Ich in Jesus aufgeht, dann zeigt sich seine Liebe ganz von selbst. Es ist ein Zeichen christlicher Charaktervollkommenheit, wenn wir ständig anderen helfen und ihnen zum Segen werden möchten, wenn der Sonnenschein des Himmels unser Herz erfüllt und uns aus den Augen leuchtet. Wer Christus im Herzen trägt, kann nicht ohne Liebe sein. Wenn wir Gott lieben, weil er uns zuerst geliebt hat, dann bringen wir auch allen Liebe entgegen, für die Christus gestorben ist. Wir können Gott nicht nahe kommen, ohne zugleich Gemeinschaft mit anderen Menschen zu haben. In ihm, der auf dem Thron des Universums sitzt, sind ja Gottheit und Menschheit vereint. Die Verbundenheit mit Christus bindet uns durch die goldene Kette der Liebe auch an unsere Mitmenschen. Dann wird in unserem Leben die mitfühlende Barmherzigkeit Christi sichtbar. Wir warten nicht mehr, bis Menschen in Not zu uns kommen, und lassen uns auch nicht lange bitten, wenn wir gebraucht werden. Anderen zu helfen ist dann für uns eine Selbstverständlichkeit, wie es das ja auch für Christus war.

Liebevolles Verständnis für andere und der Wunsch, Menschen zum Segen zu werden, sind immer ein Zeichen für das Wirken des Heiligen Geistes. Selbst im finstersten Heidentum gab es Menschen, die noch nie etwas von Gottes Gesetz oder von Christus gehört hatten und dennoch seine Diener freundlich aufnahmen, ja manchmal für ihren Schutz sogar das eigene Leben aufs Spiel setzten. Hier zeigte sich klar, dass Gottes Kraft am Wirken war. Der Heilige Geist füllt auch das Herz eines Heiden mit der Gnade Christi und weckt in ihm ein Mitgefühl, das weder seiner Natur noch den Sitten seines Stammes entspricht. „Das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen“ (Johannes 1,9), scheint in sein Herz und führt ihn, wenn er ihm folgt, ins Reich Gottes. Der Ruhm Gottes ist deshalb so groß, weil er Menschen, die am Boden liegen und großes Leid erfahren haben, aufrichtet und tröstet. Wer Christus im Herzen trägt, wird genauso handeln. Der Glaube an Christus wirkt sich auf andere segensreich aus und schenkt den Menschen Licht. Für Gott gibt es keinen qualitativen Unterschied zwischen den einzelnen Nationen, Rassen oder Gesellschaftsschichten. Er ist der Schöpfer aller Menschen, die durch Schöpfung und Erlösung eine einzige Familie bilden. Christus kam, um jede Trennwand niederzureißen und alle Räume des Tempels zugänglich zu machen, sodass jeder ungehindert vor Gott treten kann. Seine Liebe ist so groß und reich, dass sie überallhin dringt. Sie holt die Menschen, die sich von Satan täuschen ließen, aus dem Einflussbereich des Bösen und bringt sie vor den Thron Gottes, den der Regenbogen der Verheißung überspannt. Für Christen gibt es keinen Unterschied zwischen Juden und Griechen, Sklaven und Freien (Galater 3,28), denn sie sind einander alle „nahe geworden durch das Blut Christi“. Epheser 2,13. Auch bei unterschiedlicher Glaubensauffassung müssen wir Menschen in Not helfen. Gerade der persönliche Einsatz kann mancher feindlichen Haltung, die durch Glaubensdifferenzen aufgekommen ist, ein Ende bereiten. Liebevolle Hilfsdienste beseitigen Vorurteile und gewinnen Menschen für Gott. Wir brauchen einen Blick für die Sorgen, Schwierigkeiten und Nöte anderer Menschen. Lasst uns Anteil nehmen an Freude und Leid aller sozialen Schichten. „Umsonst habt ihr‘s empfangen, umsonst gebt es auch.“ Matthäus 10,8. Überall in unserer Nachbarschaft gibt es Menschen mit schwerem Schicksal, die Verständnis und praktische Hilfe brauchen. Da hat eine Frau den Mann verloren und braucht einmal unser Gespräch oder einen Rat. Nach Gottes Willen sollen wir uns auch für ihre Kinder verantwortlich fühlen, um die sich sonst vielleicht niemand kümmert. Selbst wenn sie uns einen verwahrlosten und keinen viel versprechenden Eindruck machen sollten, so sind sie doch Gottes Eigentum, teuer erkauft und in seinen Augen nicht weniger wertvoll als wir. Auch sie gehören zu Gottes großer Familie, und als Christen sind wir für sie verantwortlich. „Ihr Blut“, sagt er, „will ich von deiner Hand fordern.“ Hesekiel 3,18.

Die Sünde ist das größte aller Übel; schon deshalb muss es unsere Aufgabe sein, anderen aus diesem Teufelskreis herauszuhelfen. Doch nicht alle Menschen erreichen wir auf die gleiche Weise. Viele gestehen es sich selbst nicht ein, dass sie nach der Wahrheit hungern. Ihnen hilft man am besten mit einem freundlichen Wort oder einer Geste, die ihnen zeigt, dass sie nicht vergessen sind. Andere sind in tiefster Not, ohne es selbst zu wissen. Sie merken gar nicht, wie tief sie geistlich gesunken sind. Wie viele sind doch so sehr in die Sünde verstrickt, dass sie den Sinn für die Wirklichkeit des Ewigen völlig verloren und ihre Gottähnlichkeit eingebüßt haben! Sie wissen kaum noch, dass auch ihnen die Erlösung angeboten wird, und glauben weder an Gott, noch schenken sie Menschen ihr Vertrauen. Nur mit Gesten uneigennütziger Freundlichkeit können sie in der Regel noch erreicht werden. Zuerst muss man für ihr körperliches Wohl sorgen, also ihnen Essen und Kleidung geben. Solche selbstlose Liebe wird es ihnen leichter machen, an die Liebe Christi zu glauben. Viele sind auf dem falschen Weg, die sich dessen schämen, weil sie sehen, wohin ihre Torheit führt. Sie haben immer nur ihre Verfehlungen vor Augen und werden allmählich zur Verzweiflung getrieben. Auch um solche Menschen müssen wir uns kümmern. Wer gegen den Strom schwimmen muss, wird von der ganzen Gewalt des Wassers zurückgetrieben. Reich du ihm eine helfende Hand wie Jesus damals, als Petrus versank. Mach ihm wieder Hoffnung, damit er Vertrauen fassen kann und deine Liebe spürt. Dein geistlich kranker Bruder braucht dich, so wie ja auch du früher auf die Liebe eines Bruders angewiesen warst. Er braucht die Erfahrung eines Menschen, der einmal genauso schwach gewesen ist wie er und ihm daher Verständnis und Hilfe entgegenbringen kann. Gerade das Bewusstsein unserer eigenen Schwäche sollte uns Anlass sein, anderen zu helfen. Lasst uns an keinem Menschen in Not vorübergehen, ohne zu versuchen, ihn damit zu trösten, womit Gott auch uns getröstet hat.

Persönliche Gemeinschaft mit Christus, unserem lebendigen Heiland, gibt uns die Kraft, über das Böse zu triumphieren. Erzähle dem suchenden Menschen, dass der Allmächtige ihm helfen will und dass Christus in seiner unendlichen Liebe auch an ihn denkt. Gerade er braucht ja mehr als nur Glauben an Recht und Macht, an Dinge also, die kein Mitleid empfinden und keinen Hilferuf vernehmen. Er braucht eine gütige Hand, die ihm Halt gibt, und ein liebevolles Herz, dem er sich anvertrauen kann. Sage ihm immer wieder, dass Gott ihn nie verlässt, sondern mit verständnisvoller Liebe auf ihn blickt. Hilf ihm, an seinen Vater zu glauben, den die Sünde schmerzt, der uns aber die Hand entgegenstreckt und uns auffordert, bei ihm Frieden zu suchen und mit ihm Frieden zu schließen. vgl. Jesaja 27,5. Bei dieser Aufgabe haben wir unsichtbare Helfer. Engel des Himmels begleiteten den Samariter, als er für den verwundeten Fremden sorgte, und sie stehen allen zur Seite, die im Dienst für Gott ihrem Nächsten helfen. Christus selbst arbeitet mit uns zusammen. Er ist der Heiland der Welt, unter dessen Leitung wir ungeahnte Erfolge erleben werden. Von unserer Treue bei dieser Arbeit hängt nicht nur das Wohlergehen anderer, sondern auch unser eigenes Schicksal ab. Christus möchte alle, die dazu bereit sind, zu seinen Mitarbeitern machen, sodass sie eins werden mit ihm, wie er eins ist mit dem Vater. vgl. Johannes 17,20-23. Er lässt uns mit Leid und Unrecht in Berührung kommen, um uns aus unserem Egoismus herauszureißen; er möchte, dass in uns seine Charaktereigenschaften — Mitgefühl, Güte und Liebe — zur Entfaltung kommen. Übernehmen wir diese Aufgaben, dann werden wir auf diese Weise vorbereitet, einmal bei Gott in der Ewigkeit zu sein. Lehnen wir sie aber ab, dann verweigern wir uns auch dieser Vorbereitung und entscheiden uns damit für ewiges Getrenntsein von ihm. „Wirst du in meinen Wegen wandeln und meinen Dienst recht versehen, so … will [ich] dir Zugang zu mir geben mit diesen, die hier stehen“, verspricht uns der Herr. Sacharja 3,7. Unsere Zusammenarbeit mit den Engeln hier auf der Erde bereitet uns darauf vor, einmal im Himmel mit ihnen Gemeinschaft zu haben. Sie sind ja „dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen.“ Hebräer 1,14. Im Himmel werden sie jeden willkommen heißen, der — wie Christus — auf Erden nicht lebte, „dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene“. Matthäus 20,28. In dieser gesegneten Gemeinschaft erfahren wir dann zu unserer ewigen Freude alles, was in der Frage eingeschlossen ist: „Wer ist denn mein Nächster?“

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