Versöhne dich
„Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12): »Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig. Darum, wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und geh zuerst hin und versöhne dich mit deinem Bruder, und dann komm und opfere deine Gabe. Vertrage dich mit deinem Widersacher sogleich, solange du noch mit ihm auf dem Weg bist, auf dass dich der Widersacher nicht dem Richter überantworte und der Richter dem Gerichtsdiener und du ins Gefängnis geworfen werdest. Wahrlich, ich sage dir: Du wirst nicht von dort herauskommen, bis du auch den letzten Heller bezahlt hast.“ (Matthäus 5,21-26)
Der Herr hat durch Mose gesagt: „Du sollst deinen Bruder nicht hassen in deinem Herzen … damit du nicht seinetwegen Schuld auf dich ladest. Du sollst dich nicht rächen noch Zorn bewahren gegen die Kinder deines Volks. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (3.Mose 19,17.18) Christus verkündigte dieselbe Wahrheit, die schon die Propheten gepredigt hatten. Herzenshärtigkeit und Sündendienerei hatten sie nur verdunkelt.
Die Worte des Heilandes offenbarten seinen Zuhörern die Tatsache, dass sie, die andere als Übertreter verurteilten, gleichermaßen schuldig waren; denn sie nährten ja selbst Hass und Neid in ihren Herzen.
Auf der anderen Seite des Sees, gegenüber dem Ufer, wo die Versammlung stattfand, lag die Landschaft Basan, eine einsame Gegend, deren wilde Schluchten und waldbedeckte Berge allen Sorten von Verbrechern lange als beliebte Schlupfwinkel gedient hatten. Berichte über dort verübte Räubereien und Mordtaten waren dem Volk noch frisch in Erinnerung, und viele waren eifrig auf die Anzeige dieser Missetäter bedacht. Dieselben Leute waren aber leidenschaftlich und streitsüchtig. Sie nährten den grimmigsten Hass gegen die römischen Unterdrücker und spürten keinerlei Hemmung, alle anderen Völker, ja selbst ihre eigenen Landsleute zu hassen und zu verachten, wenn diese nicht restlos mit ihren eigenen Ansichten einig gingen. Durch all das aber verletzten sie das Gebot, nicht zu töten.
Der Geist des Hasses und der Rache ist mit dem Teufel aufgekommen. Aus diesem Geist tötete er den Sohn Gottes. Wer Hass und Neid nährt, pflegt denselben Geist und wird den Tod davon ernten. Im Rachegedanken liegt bereits der Keim der Übeltat eingeschlossen. „Wer seinen Bruder hasst, der ist ein Totschläger, und ihr wisst, dass ein Totschläger nicht hat das ewige Leben in ihm bleibend.“ (1.Johannes 3,15)
„Wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz! der ist des Hohen Rats schuldig.“ Gott hat uns durch die Hingabe seines Sohnes zu unserer Erlösung bewiesen, welch hohen Wert er auf jeden einzelnen Menschen legt, und gestattet es deshalb keinem Menschen, verächtlich vom anderen zu reden. Wohl mögen wir Fehler und Schwächen in unseren Mitmenschen sehen, aber deshalb sind sie doch Gottes Eigentum, einmal durch die Schöpfung und zum anderen, weil er sie durch das kostbare Blut Christi erkauft hat. Alle wurden ihm zum Bilde geschaffen, und selbst die verkommensten Menschen müssen mit Achtung und Nachsicht behandelt werden. Gott wird uns für jedes verächtliche Wort, mit dem wir Menschen verletzt haben, für die Christus sein Leben dahingab, zur Verantwortung ziehen.
„Wer gibt dir einen Vorzug? Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es aber empfangen hast, was rühmest du dich denn, als hättest du es nicht empfangen?“ (1.Korinther 4,7) „Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest? Er steht oder fällt seinem Herrn. Er wird aber stehen bleiben; denn der Herr kann ihn wohl aufrecht halten.“ (Römer 14,4)
„Wer aber sagt: Du gottloser Narr! der ist des höllischen Feuers schuldig.“ Im Alten Testament wurde das Wort Narr gebraucht, um einen Abtrünnigen oder einen ganz und gar dem Bösen ergebenen Menschen zu bezeichnen. Jesus sagt, wer seinen Bruder als Abtrünnigen oder Gottesverächter verdammt, der beweist damit nur, dass er selbst dies Urteil verdient hat. Selbst Christus, „als er mit dem Teufel stritt und mit ihm rechtete über den Leichnam des Mose, hat nicht gewagt, gegen ihn ein lästerndes Urteil zu fällen“. (Judas 9) Hätte er es getan, dann würde er sich dem Teufel gleichgestellt haben; denn die Anklägerei ist die Waffe des Bösen. Er wird in der Schrift der „Verkläger unserer Brüder“ genannt. (Offenbarung 12,10) Jesus aber wollte sich der teuflischen Waffen nicht bedienen, sondern sprach „Der Herr strafe dich!“ (Judas 9)
Das kann uns als Beispiel dienen. Wenn wir mit den Feinden Christi in Streit geraten, sollen wir nicht aus dem Geist der Rache zu ihnen sprechen, ja nicht einmal etwas sagen, was auch nur den Schein einer Anklage haben könnte.
Wer als Sprecher Gottes waltet, darf nicht Worte gebrauchen, die selbst der Höchste im Himmel im Streit mit dem Teufel nicht benutzen würde. Gericht und Verdammung gehören Gott zu.
„Versöhne dich mit deinem Bruder“
Die Liebe aus Gott ist mehr als eine bloße Verneinung des Bösen; ihr wohnt bejahende Tatkraft inne. Sie ist eine lebendige Quelle, die dauernd zum Segen anderer fließt. Wenn die Liebe Christi in uns wohnt, werden wir nicht nur darauf verzichten, unsere Mitmenschen zu hassen, sondern auf jede nur mögliche Weise ihnen Liebe zu erweisen suchen.
Jesus sprach: „Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und wirst allda eingedenk, dass dein Bruder etwas wider dich habe, so lass allda vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder und alsdann komm und opfere deine Gabe.“ Durch die Opfergaben brachte der Opfernde seinen Glauben daran zum Ausdruck, dass er durch Christus der Gnade und Liebe Gottes teilhaftig geworden sei. Es wäre ein elendes Possenspiel, wollte jemand äußerlich bekunden, dass er an den Gott der Vatermilde glaubt, während er in seinem Geiste von Lieblosigkeit belastet ist.
Wer sich äußerlich zum Dienste Gottes bekennt, dagegen seinem Bruder unrecht tut oder ihn schädigt, lebt diesem einen falschen Begriff vom Wesen Gottes vor. Darum muss er seine Übeltat als Sünde erkennen und sie bekennen, um wieder mit Gott ins reine zu kommen. Unser Bruder mag uns ein größeres Unrecht zugefügt haben als wir ihm; das ändert jedoch nichts an unserer Verantwortlichkeit. Treten wir vor Gott, und es kommt uns in den Sinn, dass ein anderer etwas gegen uns hat, dann schieben wir besser unsere Gabe des Gebetes, der Danksagung oder unsere Spende auf, begeben uns zu unserem Bruder, mit dem wir in Zwiespalt geraten sind, bekennen ihm in Demut unsere Sünde und bitten um Verzeihung.
Haben wir irgendwie unseren Bruder benachteiligt oder geschädigt, dann machen wir den Schaden wieder gut. Haben wir unabsichtlich falsches Zeugnis abgelegt, seine Aussagen unrichtig wiedergegeben, seinen guten Ruf auf irgendeine Weise beeinträchtigt, dann gehen wir hin zu denen, die unsere Auslassungen vernommen haben, und nehmen all unsere schädlichen Entstellungen zurück.
Über Streitfragen zwischen Brüdern sollte man nicht in der Öffentlichkeit verhandeln, sondern sie untereinander freimütig und im Geiste der Liebe Jesu Christi besprechen. Wieviel Unheil könnte dadurch abgewandt werden! So manche bittere, verderbliche Wurzel könnte auf diese Weise ausgerottet werden! Wie innig und herzlich könnten die Nachfolger Christi dann in seiner Liebe verbunden sein.