Das Haus auf dem Felsen
„Darum, wer diese meine Rede hört und tut sie, der gleicht einem klugen Mann, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, fiel es doch nicht ein; denn es war auf Fels gegründet. Und wer diese meine Rede hört und tut sie nicht, der gleicht einem törichten Mann, der sein Haus auf Sand baute. Als nun ein Platzregen fiel und die Wasser kamen und die Winde wehten und stießen an das Haus, da fiel es ein und sein Fall war groß.“ (Matthäus 7,24-27)
Das ganze Volk war von den Worten Christi tief bewegt. Die göttliche Schönheit der Grundsätze der Wahrheit übte große Anziehungskraft auf sie aus. Die ernsten Warnungen Christi hatten ihnen wie die Stimme des Herzen erforschenden Gottes geklungen. Seine Worte hatten die Wurzel ihres alten Denkens bloßgelegt. Wenn sie seiner Lehre folgen wollten, mussten sie ihre alten Denk- und Tatgewohnheiten ändern. Dadurch aber gerieten sie mit ihren Religionslehrern in Zwiespalt; denn die Folge musste ein Umsturz des ganzen Baus sein, an dem die Rabbiner seit Menschenaltern gearbeitet hatten. So kam es, dass trotz der Zustimmung zu seinen Worten wenige bereit waren, ihr Leben danach zu gestalten.
Jesus beendete seine Bergpredigt mit einem Bilde, das mit überraschender Deutlichkeit betonte, wie wichtig es sei, das Gehörte auch in die Tat umzusetzen. Unter den Zuhörern des Heilandes befanden sich viele, die ihr ganzes Leben in der Gegend des Galiläischen Meeres zugebracht hatten. Von dem Abhang aus, wo sie den Worten Christi lauschten, konnten sie Täler und Schluchten sehen, durch die die Bergbäche sich ihren Weg zum See bahnten. Im Sommer trockneten diese Flüsse oft völlig aus und hinterließen nur ein sandiges Bett. Wenn jedoch die Winterstürme über die Berge brausten, wurden die Bäche zu wilden, reißenden Strömen und überschwemmten dabei mitunter die Dörfer, die die unaufhaltsame Flut einfach forttrug. Selbst die Hütten, die die Bauern sich auf den Grasebenen, scheinbar außerhalb des Gefahrengebiets, erbaut hatten, wurden oft mit fortgerissen.
Oben auf den Bergen jedoch gab es auch auf Felsen gebaute Häuser. In manchen Gegenden gab es sogar ganz feste Gebäude, die schon tausend Jahre lang den Stürmen standgehalten hatten. Sie waren mit großer Mühe und unter bedeutenden Schwierigkeiten errichtet worden. Man konnte nicht leicht hingelangen, und ihre Lage erschien unwirtlicher als die in der grünen Ebene. Doch sie waren auf Felsen gegründet, und Winde, Fluten und Stürme umtosten sie vergebens.
Dem Menschen, der sein Haus auf den Felsen baut, ist nach dem Worte Jesu jeder gleich, der seine Worte aufnimmt und sein Wesen und Leben darauf gründet. Jahrhunderte vorher schon hatte der Prophet Jesaja geschrieben: „Das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.“ Petrus führte diese Worte des Propheten noch viele Jahre nach der Bergpredigt an und fügte hinzu: „Das ist aber das Wort, welches unter euch verkündigt ist.“ (Jesaja 40,8; 1.Petrus 1,25) Das Wort Gottes ist der einzige Halt in dieser Welt. Es ist ein sicherer Grund. Jesus sagt davon: „Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.“ (Matthäus 24,35) Die erhabenen Grundlagen des Gesetzes, die im Wesen Gottes offenbart sind, haben auch ihren Ausdruck in der Bergpredigt Christi gefunden. Wer darauf baut, baut auf Christus, den ewigen Fels. Wenn wir das Wort aufnehmen, nehmen wir Christus auf. Ja, nur wer so sein Wort aufnimmt, baut auch auf ihn. „Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.“ „In keinem andern ist das Heil, ist auch kein andrer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, darin wir sollen selig werden.“ (1.Korinther 3,11; Apostelgeschichte 4,12) Christus, das Wort, die Offenbarung Gottes, die Verwirklichung seines Wesens, seines Gesetzes, seiner Liebe, seines Lebens, ist der einzige Grund, auf dem wir unsere Persönlichkeit aufbauen und unerschüttert bleiben können.
Wir bauen auf Christus, wenn wir seinem Worte folgen. Nicht der ist gerecht, der sich nur der Gerechtigkeit freut, sondern der sie übt. Heiligung ist nicht nur glückseliges Gefühl; sie ist die Folge einer vollständigen Hingabe an Gott. Sie ist die Ausführung des Willens unseres Vaters im Himmel. Als die Kinder Israel sich an der Grenze des verheißenen Landes lagerten, genügte es ihnen nicht, Kunde von Kanaan zu haben oder Kanaans Lieder zu singen. Dadurch allein kamen sie nicht in den Besitz der Weinberge, Olivenhaine und Äcker. Die waren erst dann ihr Eigentum, als sie davon Besitz ergriffen, und dazu mussten sie die Bedingungen erfüllen, indem sie lebendigen Glauben an Gott bekundeten, sich seine Verheißungen zu eigen machten und auch seinen Befehlen gehorchten.
Religion besteht darin, die Worte Christi zu erfüllen, aber nicht etwa, um damit Gottes Gnade zu verdienen; denn das ist unmöglich, weil wir die Gabe seiner Liebe empfangen haben. Christus macht die Seligkeit des Menschen nicht von seinem bloßen Bekenntnis, sondern von seinem Glauben abhängig, der in Werken der Gerechtigkeit seinen Ausdruck finden muss. Von den Nachfolgern Christi wird die Tat, nicht das Wort allein, erwartet. Durch die Tat baut sich die Persönlichkeit. „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Römer 8,14) Nicht deren Herzen der Geist berührt, nicht die sich dann und wann von ihm leiten lassen, sondern die der Geist Gottes treibt, die sind Kinder Gottes.
Hast du den Wunsch, ein Jünger Christi zu werden, und weißt nicht, wie du es beginnen sollst? Bist du in der Finsternis und kennst nicht den Weg zum Licht? Folge nur dem Licht, das du hast. Bestimme dein Herz zum Gehorsam gegen das, was dir aus dem Worte Gottes bekannt ist. Seine Kraft, ja sein Leben wohnt diesem Wort inne. Wenn du das Wort im Glauben aufnimmst, erhältst du daraus Kraft zum Gehorsam. Wenn du auf das Licht achtest, das du hast, wird dein Licht sich mehren. Du baust auf Gottes Wort, und deine Persönlichkeit wird so nach dem Vorbilde Christi gebaut.
Christus, der wahre Grund, ist ein lebendiger Stein. Sein Leben wird allen zuteil, die sich auf ihn gründen. „Baut auch ihr euch als lebendige Steine zum geistlichen Hause.“ „Auf welchem der ganze Bau ineinander gefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn.“ (1.Petrus 2,5; Epheser 2,21) Die Steine bilden mit dem Grunde ein Gefüge; denn in allen webt das gleiche Leben. Kein Sturm kann diesen Bau erschüttern; denn alles, was göttlichen Lebens teilhaftig wird, überdauert damit das andere.
Jeder Bau aber, der einen anderen Grund hat als Gottes Wort, wird zusammenstürzen. Wer den Juden zur Zeit Christi gleich auf den Grund menschlicher Meinungen und Ansichten baut, sich auf Formen und Formeln menschlicher Herkunft verlässt oder auch auf Werke, die er ohne die Gnade Christi zu tun vermag, baut seine Persönlichkeit auf lockeren Sand. Die furchtbaren Wasser der Versuchung werden den Grund unterspülen, und sein Haus wird als Wrack an den Strand der Zeit geschwemmt. „Darum spricht Gott der Herr:… Ich will das Recht zur Richtschnur und die Gerechtigkeit zur Waage machen. So wird Hagel die falsche Zuflucht zerschlagen, und Wasser sollen den Schutz wegschwemmen.“ (Jesaja 28,16,17)
Doch heute ist noch Barmherzigkeit für den Sünder vorhanden. „So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe. So kehrt nun um von euren bösen Wegen. Warum wollt ihr sterben?“ (Hesekiel 33,11) Die Stimme, die noch heute zu den Unbußfertigen spricht, ist die Stimme dessen, der beim Anblick der geliebten Stadt in seinem Herzenskummer ausrief: „Jerusalem, Jerusalem, … wie oft habe ich wollen deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt! Sehet, euer Haus soll euch wüst gelassen werden“. (Lukas 13,34.35) Jerusalem war sinnbildlich für die Welt, die seine Gnade verwarf und verachtete. Er klagte, du trotziges Herz, auch über dich! Als Jesus auf dem Berge weinte, hätte die Stadt Jerusalem im Falle der Reue ihrem Untergang entgehen können. Ein wenig noch harrte die Gabe Gottes ihrer Annahme. Und so spricht Christus auch zu dir, o Mensch, im Tonfall der Liebe: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftun, zu dem werde ich eingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“ „Jetzt ist die angenehme Zeit, … jetzt ist der Tag des Heils!“ (Offenbarung 3,20; 2.Korinther 6,2) Die ihr eure Hoffnung auf euch selbst setzt, ihr baut auf Sand. Aber noch ist’s nicht zu spät, der nahenden Gefahr zu entrinnen. Fliehe auf den sicheren Grund, ehe der Sturm losbricht! So „spricht Gott der Herr: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der fest gegründet ist“. „Wendet euch zu mir, so werdet ihr gerettet, aller Welt Enden.“ „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Ihr werdet „nicht zuschanden noch zu Spott immer und ewiglich“. (Jesaja 28,16; Jesaja 45,22; Jesaja 41,10; Jesaja 45,17)