Die zwei Bündnisse

Die zwei Bündnisse

Wie die Heilige Schrift zwei Gesetze kennt, ein unveränderliches, ewiges und ein vorläufiges, zeitlich begrenztes, so gibt es auch zwei Bündnisse. Den Bund der Gnade schloss Gott mit dem Menschen schon in Eden, als er ihm nach dem Sündenfall die Verheißung gab, der Nachkomme des Weibes werde der Schlange den Kopf zertreten. Dieser Bund bot jedem Menschen Vergebung und die helfende Gnade Gottes an für den künftigen Gehorsam durch den Glauben an Christus. Er verhieß ihm auch ewiges Leben, wenn er treu Gottes Gesetz hielt. Im Glauben empfingen die Patriarchen so die Hoffnung auf Erlösung. Derselbe Bund wurde mit Abraham erneuert durch die Zusage: „Durch dein Geschlecht sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden.“ (1.Mose 22,18) Diese Verheißung wies auf Christus hin. So verstand sie Abraham und vertraute auf die Vergebung seiner Sünden durch ihn. Dieser Glaube wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet. Der Bund mit Abraham bewahrte auch die Autorität des Gesetzes Gottes. Der Herr erschien Abraham und sprach: „Ich bin der allmächtige Gott; wandle vor mir und sei fromm.“ (1.Mose 17,1) Gott bezeugte von seinem treuen Knecht, dass er „meiner Stimme gehorsam gewesen ist und gehalten hat meine Rechte, meine Weisungen und mein Gesetz“. (1.Mose 26,5) Und weiter erklärte ihm der Herr: „Ich will aufrichten meinen Bund zwischen mir und dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, daß es ein ewiger Bund sei, so daß ich dein und deiner Nachkommen Gott bin.“ (1.Mose 17,7) Obwohl dieser Bund mit Adam geschlossen und mit Abraham erneuert worden war, konnte er erst nach dem Tode Christi besiegelt werden. Er bestand durch die Verheißung Gottes seit der ersten Ankündigung der Erlösung und wurde im Glauben angenommen. Doch nannte man ihn nach der Bestätigung durch Christus einen neuen Bund. Auch die Grundlage dieses Bundes war das Gesetz Gottes. Mittels dieser Übereinkunft sollten die Menschen wieder mit dem göttlichen Willen in Einklang gebracht und dazu befähigt werden, Gottes Gesetz gehorchen zu können.   

Eine andere Übereinkunft, in der Schrift der „Alte“ Bund genannt, wurde zwischen Gott und Israel am Sinai geschlossen und durch das Blut eines Opfertieres bestätigt. Abrahams Bund erfuhr die Besiegelung durch das Blut Christi. Er wird der „zweite“ oder „Neue“ Bund genannt, weil das Blut, das ihn besiegelte, nach dem Blut des ersten Bundes vergossen wurde. Dass der Neue Bund schon in den Tagen Abrahams Gültigkeit hatte, wird aus der Tatsache ersichtlich, dass er damals durch Gottes Verheißung und Eid bekräftigt wurde, die „zwei Stücke, die nicht wanken — denn es ist unmöglich, daß Gott lügt“. (Hebräer 6,18) Wenn aber der Bund mit Abraham die Verheißung der Erlösung enthielt, wozu dann noch ein Bund am Sinai? In der Knechtschaft hatte das Volk die Gotteserkenntnis und die Grundsätze des Bundes Abrahams weitgehend aus den Augen verloren. Als Gott die Hebräer aus Ägypten befreite, wollte er ihnen seine Macht und Barmherzigkeit zeigen, damit sie es lernten, ihn zu lieben und ihm zu vertrauen. Er führte sie hinab an das Rote Meer, wo ein Entkommen vor den verfolgenden Ägyptern unmöglich schien, damit sie ihre völlige Hilflosigkeit und die Notwendigkeit göttlichen Beistandes erkannten; dann erst befreite er sie. Das erfüllte sie mit Liebe und Dankbarkeit zu Gott und mit Vertrauen zu seiner helfenden Kraft. Er hatte sich ihnen unauflöslich verbunden als ihr Befreier aus zeitlicher Knechtschaft.   
Aber es gab noch eine wichtigere Wahrheit, die sich ihnen einprägen sollte. Inmitten von Götzendienst und Verdorbenheit hatten sie weder eine rechte Vorstellung von der Heiligkeit Gottes noch von ihrer großen Sündhaftigkeit und völligen Unfähigkeit, dem Gesetz Gottes aus eigener Kraft zu gehorchen, und auch nicht von ihrer Erlösungsbedürftigkeit. Das alles mussten sie erst verstehen lernen.

Gott führte sie zum Sinai. Hier offenbarte er ihnen seine Herrlichkeit. Er gab ihnen sein Gesetz und verhieß ihnen unter der Bedingung des Gehorsams große Segnungen: „Werdet ihr nun meiner Stimme gehorchen und meinen Bund halten, so sollt ihr … mir ein Königreich von Priestern und ein heiliges Volk sein.“ 2.Mose 19,5.6. Die Volksmenge aber erkannte weder ihre Sündhaftigkeit noch die Unmöglichkeit, ohne Christus Gottes Gesetz halten zu können! Bereitwillig ging sie den Bund mit Gott ein. In dem Bewusstsein, aus sich heraus zur Gerechtigkeit fähig zu sein, erklärten die Israeliten: „Alles, was der Herr gesagt hat, wollen wir tun und darauf hören.“ (2.Mose 24,7) Sie hatten die Gesetzesverkündigung in schrecklicher Majestät am Berge erlebt und vor Furcht gezittert. Aber es vergingen nur wenige Wochen, bis sie ihren Bund mit Gott brachen und sich in Anbetung vor einem gegossenen Bild beugten. Sie konnten mit Hilfe eines Bundes, den sie verletzt hatten, nicht mehr auf Gottes Gnade hoffen; aber sie begriffen nun ihre Sündhaftigkeit und die Notwendigkeit der Vergebung. Jetzt spürten sie, wie dringend sie den Erlöser brauchten, der im Bund mit Abraham bereits geoffenbart und in den Opfern vorgeschattet war. So fühlten sie sich nunmehr Gott durch Glauben und Liebe als ihrem Erretter aus der Knechtschaft der Sünde verbunden. Jetzt erst waren sie innerlich darauf vorbereitet, die Segnungen des Neuen Bundes richtig zu erfassen.

Die Bedingungen des Alten Bundes waren: Gehorche und lebe. Ich gab ihnen „meine Gebote …, durch die der Mensch lebt, der sie hält.“ (Hesekiel 20,11; vgl. 3.Mose 18,5) Aber „verflucht sei, wer nicht alle Worte dieses Gesetzes erfüllt, daß er danach tue!“ (5.Mose 27,26) Der Neue Bund beruhte auf „bessere(n) Verheißungen“, (Hebräer 8,6) den Verheißungen der Sündenvergebung und der Gnade Gottes, die das Herz erneuert und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des Gesetzes Gottes bringt. „Das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein … Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ (Jeremia 31,33.34)   
Dasselbe Gesetz, in Steintafeln eingegraben, schreibt der Heilige Geist in die Herzen. Anstelle des Versuches, unsere eigene Gerechtigkeit aufzurichten, nehmen wir die Gerechtigkeit Christi an. Sein Blut sühnt unsere Sünden. Sein Gehorsam wird als der unsrige angenommen. Dann wird das vom Heiligen Geist erneuerte Herz „die Frucht … des Geistes“ (Galater 5,22) bringen. Durch die Gnade Christi werden wir dem Gesetz Gottes gehorsam sein, das in unsere Herzen geschrieben ist. Und wenn wir den Geist Christi haben, werden wir leben wie er. Durch prophetische Aussage erklärte er über sich selbst: „Deinen Willen, mein Gott, tue ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“ (Psalm 40,9) Und als er unter den Menschen weilte, sagte er: „Der Vater läßt mich nicht allein; denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.“(Johannes 8,29) Der Apostel Paulus stellt die Beziehung zwischen Glaube und Gesetz im Neuen Bund klar heraus. Er sagt: „Nun wir denn sind gerecht geworden durch den Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus.“ (Römer 5,1) „Wie? Heben wir denn das Gesetz auf durch den Glauben? Das sei ferne! Sondern wir richten das Gesetz auf.“ (Römer 3,31) „Denn was dem Gesetz unmöglich war, weil es durch das Fleisch geschwächt war“, — es konnte den Menschen nicht rechtfertigen, weil er in seiner sündigen Natur das Gesetz nicht halten konnte,  — „das tat Gott: er sandte seinen Sohn in der Gestalt des sündlichen Fleisches und um der Sünde willen und verdammte die Sünde im Fleisch, auf daß die Gerechtigkeit, vom Gesetz gefordert, in uns erfüllt würde, die wir nun nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist.“ (Römer 8,3.4)   
Gottes Werk ist zu allen Zeiten dasselbe geblieben, obwohl es unterschiedliche Entwicklungsstufen erlebt. Und es gibt verschiedenartige Offenbarungen der göttlichen Macht, um den Bedürfnissen der Menschen in den jeweiligen Zeitaltern zu begegnen. Beginnend mit der ersten Verheißung der Frohbotschaft über die Zeit der Erzväter und des jüdischen Volkes sogar bis in die Gegenwart, enthüllten sich allmählich Gottes Absichten mit dem Erlösungsplan. Der in den Bräuchen und Zeremonien des israelitischen Gesetzes versinnbildete Erlöser ist derselbe, der im Evangelium offenbart wird. Die Wolken, die seine göttliche Gestalt verhüllten, sind gewichen; die Nebel und Schatten sind verschwunden, Jesus, der Welterlöser, hat sich offenbart. Er, der vom Sinai das Gesetz verkündete und Mose die Vorschriften des Zeremonialgesetzes gab, ist derselbe, der uns die Bergpredigt hielt. Die Liebe zu Gott, die er als Grundlage des Gesetzes und der Propheten predigte, ist nur eine Wiederholung dessen, was er dem hebräischen Volk durch Mose gesagt hatte: „Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit aller deiner Kraft.“ 5.Mose 6,4.5. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (3.Mose 19,18) Der Verkünder ist beide Male derselbe, und die Grundzüge seiner Herrschaft ändern sich nicht. Denn alles kommt von ihm, „bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichts und der Finsternis“. (Jakobus 1,17)

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